Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten
inſtändig bat, die Truppen, anſtatt in den engen Montirungen und mit den übermäßig {weren Czakos, nur in den weiten, bequemen Mänteln und in den Feldmügen, ohne Torniſter, marſchiren zu laſſen, als i< darauf drang, doch alles die Soldaten unnöthig Ermüdende, das Scharfſchultern des Gewehres und andere überflüſſige Griffe, das feſte Beitreten bei den Wendungen, den Paradeſchritt und zahlloſe andere Kleinigkeiten im Feldzuge wegzulaſſen — iſt es erhört, frage ih, daß mich der Feldmarſchall, überlegen lächelnd, mit den albernen Worten abweiſen konnte : „Mein lieber General, wir dürfen an der altruſſiſchen Disciplin niht rütteln!“ und daß daraufhin des Kaiſers Majeſtät die Sache fallen ließ?“
„Ja ja! das iſt ein wunder Punkt bei unſerem ſonſt ſo großherzigen Herrn,“ ſtimmte der General Rudjewitſ< zu; „ſeit der unglüſeligen Militär-Revolte ſet man bei Hofe jeder, auh der nothwendigſten und unverfänglihſten Neuerung ein niht zu beſiegendes Mißtrauen entgegen.“
„Und nun der Troß im Gefolge des Kaiſers!“ fuhr der General Diebitſ< ernſt fort; „denken Sie nur, das kaiſerlihe Hauptquartier braut 10.000 Pferde zu ſeiner Fortſchaffung! Sie lächeln ungläubig! Aber es i} ſo, wie i<h Fhnen ſage, buchſtäblich ſo! Man könnte zwei CavallerieDiviſionen mehr dafür ernähren! Das Schlimmſte
dabei iſt aber, daß die Mitglieder des diplo-
matiſchen Corps, welches der Kaiſer in corpore eingeladen hat, ihn in die Campagne zu begleiten — „um jederzeit den Pulsſchlag der öffentlichen Meinung Europas fühlen zu können,“ wie Se. Majeſtät ſi< auszudrü>en geruhte — eben ſo viele Spione ſind, denen wir unſere Schwäche niht zu verbergen vermögen. Sahen Sie vorhin, wie der engliſhe Geſandtſchafts-Attahé — ein junger Garde-Capitän — die Fronten der Regimenter abritt, anſcheinend um unſere von der engliſchen Höflichkeit entzü>ten Oberſten über die brillante Haltung ihrer Leute zu becomplimentiren, in Wirklichkeit aber, um die Rottenzahl der Bataillone zu zählen! Jh will ein Muſelman werden,“ rief er, ſi< unwillig auf den Schenkel ſchlagend, „wenn niht in vierzehn Tagen der Seraskier in Schumla einen genauen Stärkerapport unſerer Donau-Armee dur< Lord Wellington erhält !“
„Das iſt es, was mi< mit tiefer Sorge erfüllt,“ entgegnete General Rudjewit\<, „unſere Bataillone zählen niht mehr als 500 Bajonnete;
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wir müſſen dur<haus bald Nachſchub haben, denn in vier Wochen füllt die Hälfte dieſer wa>eren Burſche, die jeßt vor Kampfbegierde jauchzen, die Lazarethe. “
„An Nachſchub iſ vor Ende September gar niht zu denken. Auch das iſt bei der Politik des Zauderns, die ſi< zu kräftigem Entſchluſſe nicht aufraffen konnte, auf das unverzeihlihſte vernachläſſigt. Seit Jahren ſteht die Südarmee an der türkiſhen Grenze concentrirt als Drohgeſpenſt für den Frieden Europas — in Wien und London fürchtet man bereits für Lonſtantinopel und wie ſtark iſt die Armee? Nach heutigem Rapport no< niht 65.000 Streiter! Und zum Theil in welchem Zuſtande! Dieſe Schuſte von Koſaken zum Beiſpiel haben während des langen Müßigganges an der Grenze ihre guten Don'’ſchen Pferde verkauft und reiten nun die miſerabelſten Schindmähren, die ſie in der Walachei geſtohlen. Wir na< Conſtantinopel ? Nicht bis an den Balkan kommen wir in dieſem Fahre! y
„Aber könnte man da nicht des Kaiſers Majeſtät aufmerkſam machen, daß . . .“ — ſagte zögernd der General R udjewit\<.
„Jh weiß, was Sie ſagen wollen, General! Sie lieben den Feldmarſchall auh nicht, ih, bei Gott, auh niht! Aber vorläufig iſt nichts zu machen. Der Fürſt verzehrt die Zinſen ſeines Ruhmes-Capitals, welches er ſi<h 1812 erworben, in Sicherheit; er ſit unerſchütterli<h feſt im Sattel. Der Fürſt iſt der Kaiſer, die Verkörperung des aſltruſſiſhen Waffenruhmes, während ih,“ fügte der Graf läcend hinzu, „ſo etwas als militäriſher Fakobiner in Mißcredit bin. Sie glauben niht, Rudjewitſ<, wel<he Mühe es mich gekoſtet hat, Fhnen die Ehre des Stromüberganges, wel<he Fhrer bewährten Geſchicklich-
‘feit zukam, auszuwirken. Der Fürſt beſtand
hartnä>ig darauf, den Großfürſten Michael mit der Ausführung zu betrauen, und erſt als er die ungeheuren Schwierigkeiten und Gefahren des Unternehmens einſah, lenkte er als altbewährter Höfling geſchi>t ein.“
Der General Rudjewitſ< hatte gerade noh Zeit, dem alten Freunde dankbar die Hand zu drü>en, als ein Wink des Kaiſers den Chef des Generalſtabes an ſeine Seite rief. Der Kaiſer ritt in das Hauptquartier zurü>, um ſich ausführlihen Vortrag über den auf den folgenden Tag feſtgeſezten Flußübergang haltén zu laſſen.
Die Einnahme von Nikopolis.
Nach dem gelungenen Uebergange der Ruſſen über die Donau hatte die ruſſiſche Armee ſich mit einem Theil in die türkiſhe Auſſtellung
hineingezwängt, dieſelbe dur<bro<hen und war über Nikopolis und Plevna, nah links über Biela nah Ruſt ſchuf und Nasgrad vorge-