Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

614 Siebente Ordnung: Nager; zwölfte Familie: Haſenmäuſe.

man die Streiter niht wieder getrennt hätte. Aus dieſem Grunde glaubt Bennett das geſellige Leben verſchiedener Arten und Gattungen bezweifeln zu müſſen.

Beobachtungen, welche ih ſelbſt an einer gefangenen Wollmaus machen konnte, ſtimmen im weſentlichen mit Bennetts Angaben überein. Doch bewies meine Gefangene, daß ſie mehr Nacht- als Tagtier iſt. Sie zeigte ſi<h bei Tage zwar ebenfalls munter, jedo< nur, wenn ſie geſtört wurde. Als ſie einmal ihrem Käfige entſhlüpft war und ſih nah eigenem Belieben ün Hauſe umhertreiben konnte, verbarg ſie ſich hartnä>kig bei Tage, trieb es aber dafür na<hts um ſo lebhafter. Man fand ihre Spuren überall, in der Höhe wie in der Tiefe. Sie erkletterte Geſtelle von 1—2 m Höhe mit Leichtigkeit, wahrſcheinlih ſpringend, und dur<kro< Ritzen und Öffnungen von 5 cm Durchmeſſer, Drahtgeflechte z. B., welche wir zu ihrer Abſperrung als genügend erachtet haben würden. Fhr Gang iſt ein eigentümliches Mittelding zwiſchen dem Laufe eines Kaninchens und dem ſaßweiſeèn Springen des Eichhorn; der Schwanz, welcher in der Ruhe ſtets nah oben eingerollt getragen wird, ſtre>t ſic, ſobald das Tier den Lauf beſchleunigt. Beim Sitzen oder wenn ſie aufrecht ſteht ſtüßt ſih die Wollmaus leiht auf den Schwanz; ſonſt wird dieſer immer frei getragen. Die Vorderfüße werden im Sißen eingezogen und an die Bruſt gelegt. Die langen Schnurren ſind fortwährend in reger Bewegung; die Ohren, welche in der Ruhe teilweiſe eingerollt werden, richten ſih, ſobald ein verdähtiges Geräuſh vernommen wird, ganz na< vorn. Dem Lichte entflieht die Wollmaus faſt ängſtlih, ſucht au< immer die dunkelſten Stellen. Hier ſett ſie ſih mit zuſammengezogenem Leibe feſt. Eine Höhlung wird ſofort als Zufſu<ht8ort benußt. Jhre Stimme, ein ſcharfes Knurren nach Art des Kaninchens, vernimmt man nur, wenn man ſie berührt. Sie läßt dies ungern zu, verſucht auh, wenn ſie gepa>t wird, ſih dur plögliche, ſhnellende Bewegungen zu befreien, bedient ſi<h aber niemals ihres Gebiſſes zur Verteidigung. Heu und Gras zieht ſie jeder übrigen Nahrung vor. Körner ſcheint ſie zu verſhmähen, ſaftige Wurzeln berührt ſie kaum. Db ſie trinkt, iſt frag: lih; faſt ſcheint es, als ob ſie jedes Getränk entbehren könne. Fm Londoner Tiergarten, woſelbſt dieſe Art der Familie regelmäßig gehalten wird, hat ſie ſih wiederholt fortgepflanzt, dürfte deshalb mehr als andere fremdländiſhe Nager zur Einbürgerung ſih eignen.

Die Südamerikaner eſſen das Fleiſch beider Chinchillas ſehr gern, und auh europäiſche Reiſende ſcheinen ſi<h mit ihm befreundet zu haben, obwohl ſie ſagen, daß man es mit dem unſeres Haſen nicht vergleichen könne. Übrigens benußt man auch das Fleiſ<h nur nebenbei, den Hauptnußen der Jagd bringt das Fell. Die Chinchillas der hohen Kordillexen werden, laut Tſchudi, beſonders geſchäßt, da ſie längere, dichtere und feinere Haare haben und ein weit dauerhafteres Pelzwerk liefern als die der Küſte, deren Felle faſt wertlos ſind. Jn Amerika verfertigt man jeßt nux noh Hüte aus der Wolle; denn die Kunſtfertigkeit der Ureinwohner iſt mit ihnen ausgeſtorben.

Im Pelzhandel unterſcheidet man, laut Lomer, zwei Arten Felle: die der größeren eten Chinchilla, welche lang- und feinhaarig ſind, und die der kleineren „Baſtard-Chinchilla“, welche kurzhaarig ſind; erſtere gelten 15—25 Mark, lettere bloß 1—5 Mark das Stü>. Von jenen kommen jährli<h etwa 20,000, von dieſen 200,000 Felle in den Handel. Die Unterſchiede zwiſchen den beſten und geringſten Fellen fallen ſehr ins Auge, aber es gibt Zwiſchenſtufen, welche ſelbſt dem Kenner die Beſtimmung erſchweren.

Bedeutend längere Ohren, der körperlange, auf der ganzen Oberſeite buſchig behaarte Schwanz, die vierzehigen Füße und die ſehr langen Shnurren unterſcheiden die Mitglieder der zweiten Gattung, welche man Haſenmäuſe (Lagidium) genannt hat, von den eigentlihen Wollmäuſen. Fm Gebiſſe ſtehen ſih beide Gattungen ſehr nahe, in der