Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

632 Siebente Ordnung: Nager; dreizehnte Familie: Haſen.

Regel wenigſtens ebenſo zahlrei wie der braune in dem unteren Gürtel. Am liebſten hält er ſih zwiſchen der Tannengrenze und dem ewigen Schnee auf, ungefähr in gleicher Höhe mit dem Schneehuhne und dem Murmeltiere, zwiſchen 1600 und 2600 m über dem Meere; doch ſtreift er oft viel höher. Lehmann ſah einen Haſen dicht unter dem oberſten Gipfel des Wetterhorns bei 3600 m über dem Meere. Der hohe Winter treibt ihn etwas tiefer den Alpenwäldern zu, welche ihm einigen Schuß und freie Stellen zur Äſung bieten, doch geht er niht gern unter 1000 m herab und zieht ſich ſobald wie mögli wieder nach ſeinen lieben Höhen zurü>.

„Zm Sommer lebt unſer Tierchen ungefähr ſo: Sein Standlager iſt zwiſchen Steinen, in einer Grotte oder unter den Leg- und Zwergföhren. Hier liegt der Rammler gewöhnlich mit aufgerihtetem Kopfe und ſtehenden Ohren. Die Häſin dagegen pflegt den Kopf auf die Vorderläufe zu legen und die Ohren zurüzuſhlagen. Frühmorgens oder noh öfters {hon in der Nacht verlaſſen beide das Lager und weiden ſodann auf den ſonnigen Grasſtreifen, wobei die Löffel gewöhnlich in Bewegung ſind und die Naſe herumſhnuppert, ob niht einer ihrer vielen Feinde in der Nähe ſei, ein Fuchs oder Baummarder, welcher freilih nur ſelten bis in dieſe Höhe ſtreift ein Geier, Adler, Falke, Rabe, vielleiht auh ein Wieſel, das des jungen Haſen wohl Meiſter wird. Seine liebſte Nahrung beſteht in den vielen Kleearten, den betauten Muttern, Schafgarben und Violen, in den Zwergweiden und in der Rinde des Seidelbaſtes, während er den Eiſenhut und die Geranienſtauden, welche auch ihm giftig zu ſein ſcheinen, ſelbſt in den nahrungsloſeſten Wintern unberührt läßt. Fſſtt er geſättigt, ſo legt er ſich der Länge nah ins warme Gras oder auf einen ſonnigen Stein, auf welhem er niht leiht bemerkt wird, da ſeine Farbe mit der des Bodens übereinſtimmt. Waſſer nimmt ex nur ſelten zu ſih. Auf den Abend folgt eine weitere Äſung, wohl au ein Spaziergang an den Felſen hin und dur die Weiden, wobei er ſich oft hoh auf die Hinterbeine ſtellt. Dann kehrt er zu ſeinem Lager zurü>. Des Nachts iſt er der Verfolgung des Fuchſes, der Fltiſſe und Marder ausgeſeßt; der Uhu, welcher ihn leiht bezwingen würde, geht nie bis in dieſe Höhen. Mancher aber fällt den großen Raubvögeln der Alpen zu. Unlängſt haſchte ein auf einer Tanne lauernder Steinadler in den Appenzeller Bergen einen fliehenden Alpenhaſen vor den Augen der Jäger weg und entführte ihn durch die Luft.

„Fm Winter geht's oft notdürftig her. Überraſcht ihn früher Shnee, ehe ex ſein dithteres Winterkleid angezogen, ſo geht er oft mehrere Tage lang niht unter ſeinem Steine oder Buſche hervor und hungert und friert. Ebenſo bleibt er im Felde liegen, wenn ihn ein ſtarker Schneefall überraſcht. Er läßt ſich, wie die Birk- und Schneehühnex, ganz einſchneien, oft 60 cm tief, und kommt erſt hervor, wenn ein Froſt den Schnee ſo hart gemacht hat, daß ex ihn trägt. Bis dahin ſcharrt er ſih unter dieſem einen freien Plaß und nagt an den Blättern und Wurzeln der Alpenpflanzen. Fſſtt der Winter völlig eingetreten, ſo ſucht er ſih in den dünnen Alpenwäldern Gras und Rinde. Gar oft gehen die Alpenhaſen auch in dieſen Jahreszeiten zu den oberen Heuſtällen. Gelingt es ihnen, dur< Hüpfen und Springen zum Heu zu gelangen, ſo ſeßen ſie ſih darin feſt, oft in Geſellſchaft, freſſen einen guten Teil weg und bede>en den Vorrat mit ihrer Loſung. Allein um dieſe Zeit wird gewöhnlih das Heu ins Thal geſchlittet. Dann weiden die Haſen fleißig der Schlittenbahn nach die abgefallenen Halme auf oder ſuchen nachts die Mittagslager der Holzſchlitter auf, um den Futterreſt zu holen, welchen die Pferde zurütgelaſſen haben. Während der Zeit des Heuholens verſte>en ſie ſih< gern in den offenen Hütten oder Ställen und ſind dabei ſo vorſichtig, daß ein Haſe auf der vorderen, der andere auf der hinteren Seite ſein Lager aufſhlägt. Nahen Menſchen, ſo laufen beide zugleich davon; ja, man hat ſchon öfters beobachtet, wie der zuerſt die Gefahr erkennende, ſtatt das Weite zu ſuchen, erſt um den Stall herumlief, um ſeinen ſ{<lafenden Kameraden zu we>en, worauf dann beide miteinander