Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

Alpenhaſe: Aufenthalt. Lebensweiſe. Fortpflanzung. Jagd. 693

flüchteten. Sowie der Wind die ſogenannten Staube>en entblößt hat, kehrt der Haſe wieder auf die Hochalpen zurü>.

„Ebenſo hißig in der Fortpflanzung, wie der gemeine Haſe, bringt die Häſin mit jedem Wurfe 2—5 Junge, welche nicht größer als Mäuſe und mit einem weißen Fle>en an der Stirn verſehen ſind, ſhon am zweiten Tage der Mutter nachhüpfen und ſehr bald junge Kräuter freſſen. Der erſte Wurf fällt gewöhnlich in den April oder Mai, der zweite in den Juli oder Auguſt; ob ein dritter nachfolge oder ein früherer vorausgehe, wird öfters bezweifelt, während die Jäger behaupten, vom Mai bis zum Oktober in jedem Monate Junge von Viertelsgröße angetroffen zu haben. Der Sathaſe trägt ſeine Frucht 30 Tage. Der wunderliche Jrrtum, daß es unter dieſen Haſen Zwitter gebe, welche ſich ſelbſt befruchten, dürfte den meiſten Bergjägern ſhwer auszureden ſein. Es iſt faſt unmöglich, das Getriebe des Familienlebens zu beobachten, da die Witterung der Tiere ſo ſcharf iſt und die Jungen ſi außerordentlich gut in allen Nißen und Steinlöhern zu verſte>en verſtehen.

„Die Jagd hat ihre Mühen und ihren Lohn. Da ſie gewöhnlich erſt ſtattfinden kann, wenn die Alpenkette im Schnee liegt, iſt ſie beſ<hwerlih genug, vielleicht aber weniger unſicher als auf anderes Wild, da des Haſen friſhe Spur ſeinen Stand genau anzeigt. Wenn man die Weidgänge, welche er oft des Nats im S<nee aufzuwühlen pflegt, entde>t hat und dann der Spur folgt, welche ſich einzeln davon abzweigt, ſo ſtößt man auf viele Widerſprünge kreuz und quer, welche das Tier nach beendeter Mahlzeit, von der es ſich nie geradeswegs in ſein Lager begibt, zu machen pflegt. Von hieraus geht eine ziemliche Stre>e weit eine einzelne Spur ab. Dieſe krümmt ſi zuleßt, zeigt einige wenige Widergänge (in der Regel weniger als beim braunen Haſen), zuleßt eine ring- oder ſhlingenförmige Spur in der Nähe eines Steines, Buſches oder Walles. Hier wird der Haſe liegen und zwar oben auf dem Schnee der Länge nah ausgeſtre>t, oft mit offenen Augen ſchlafend, wobei er mit den Kinnladen etwas flappert, ſo daß ſeine Löffel beſtändig in zitternder Bewegung ſind. Ft das Wetter aber rauh, begleitet von eiſigem Winde, der ſo oft in jenen Höhen herrſcht, fo liegt der Haſe entweder im Schute eines Steines oder in einem Scharrloche im Schnee feſt. So kann ihn der Jäger leicht ſchießen. Trifft er ihn nicht, ſo flieht zwar der Haſe in gewaltigen Säßen mit ſtürmiſcher Eile, geht aber nicht allzu weit und kommt leiht wieder vor den Schuß. Das Krachen und Knallen \<hre>t ihn niht; ex iſt deſſen im Gebirge gewöhnt. Es ſtört auch die anderen niht auf, und oft bringt ein Jäger 3—4 Stü heim, welche alle im Lager geſchoſſen wurden. Jn dieſem wird man aber nie zwei zuſammenfinden, ſelbſt in der Brunſtzeit nicht. Die Fährte des Alpenhaſen hat etwas Eigentümliches: ſie beſteht aus großen Säßen mit verhältnismäßig ſehr breitem Auſtritte. Ähnlich der der Gemſen, iſt die Fußbildung der Alpenhaſen vortrefflich für den Aufenthalt im Schneereiche. Die Sohle ift ſchon an ſi breiter, die Füße ſind di>er als beim gemeinen Haſen. Fm Laufe breitet er die Zehen, welche ihm dann wie Schneeſchuhe dienen, weit aus und ſinkt nicht leicht ein, auf dem Eiſe leiſten ihm die ausſchiebbaren Krallen vortreffliche Dienſte. Fagt man ihn mit Hunden, ſo bleibt er viel länger vor dem Vorſtehhunde liegen als ſein Vetter im Tieflande und ſ{<lüpft bei der Verfolgung nur ſelten in die engen Röhren der Murmeltierbauten, nie aber in Fuchslöcher.

„Auffallenderweiſe iſt der Alpenhaſe leichter zu zähmen als der gemeine, benimmt ſich ruhiger und zutraulicher, hält aber ſelten lange aus und wird ſelbſt bei der reihli<hſten Nahrung nicht fett. Die Alpenluft fehlt ihm allzubald im Thale. Fm Winter wird ex auh hier weiß. Sein Fell wird niht hoh gehalten; dagegen iſt ſein Fleiſch ſehr ſ<hmacthaft. Die Vermiſchung des gemeinen Haſen mit dem Alpenhaſen und die Hervorbringung von Baſtarden iſt oft bezweifelt worden. Doch wird ſie dur< genaue Nachforſchung beſtätigt. So wurde im Januar im Sernſthale, wo überhaupt die weißen Haſen viel öfter hinabgehen als