Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

22 Ein Blick auf das Leben der Geſamtheit.

Jede Art verwendet in der Regel dieſelben Bauſtoſſe, bequemt ſih jedo<h leicht veränderten Umſtänden an, zeigt ſih au< zuweilen ohne erſihtlihen Grund wähleriſ<h und eigenſinnig. Erzeugniſſe des menſchlihen Kunſtfleißes, welche die Vorfahren heute lebender Vögel offenbar niemals zum Baue ihres Neſtes benutzen konnten, werden von leßteren regelmäßig verbrauht, Samenwolle eingeführter Pflanzen und andere paſſende Teile nicht ver[{<mäht. Gefangene Vögel ſehen nicht ſelten gänzlich von denjenigen Stoffen ab, welche ſie in der Freiheit vorzugsweiſe verarbeiten, und erſezen ſie dur andere, die ſie ſonſt niht beachten.

Das Weibchen baut, das Männchen trägt zu. Dies iſt die Regel; aber au< das Umgetehrte findet ſtatt. Bei den Webervögeln z. B. bauen die Männchen allein, und die Weibchen laſſen ſi<h höchſtens herbei, im Jnneren des Neſtes ein wenig na<zuhelfen. Bei den meiſten übrigen Vögeln übernimmt das Männchen wenigſtens das Amt des Wächters am Neſte, und nur diejenigen, welche in Vielehigkeit leben bekümmern ſich gar nicht darum. Während des Baues ſelbſt macht ſi< das Männchen vieler Vögel noh in anderer Weiſe verdient, indem es mit ſeinen Liedern oder mit ſeinem Geſhwäße die arbeitende Gattin unterhält. Der Bau des Neſtes ſelbſt beanſprucht vollſte Thätigkeit und Hingabe, wird, [0viel wie thunlih, ununterbrochen weiter und raſh zu Ende geführt, zuweilen allerdings auh wiederholt begonnen und verlaſſen; die Arbeit macht erfinderiſh und bringt Thätigkeiten zur Geltung, welche außerdem gänzlih ruhen. Bauſtoffe werden mit Schnabel und Füßen abgebrochen, vom Boden oder Waſſer aufgenommen, aus der Luft gefangen, zer[liſſen, geſhmeidigt, gezwirnt, mit dem Schnabel, den Füßen, zwiſchen dem Rückengeſieder zum Neſte getragen, hier mit dem Schnabel und den Füßen an die rechte Stelle gelegt, unter Mithilfe des Gatten um Zweige gewunden, mit den Füßen zerzauſt und mit der Bruſt angedrüdt. „Sorgloſe Vögel“, ſo ſ{hreibt mir Hermann Müller, deſſen langjährige, treffz lihe Beobachtungen ih der nachfolgenden Schilderung des Brutgeſchäftes kleiner Neſtho>er zu Grunde lege und größtenteils wörtlich wiedergebe, „werfen die zum inneren Ausbaue beſtimmten Niſtſtoffe vom Neſtrande aus in die Mulde und hüpfen nach; ſorgſame tragen ſie mit dem Schnabel hinein und legen ſie behutſam unter ihren Leib. Die einen wie die anderen erfaſſen ſie nunmehr mit den Füßen, zerteilen und verbreiten ſie kreiſelnd mit wahrhaft wunderbarer Geſchiklichkeit und drücken ſie feſt. Die Form der Mulde wird dur die Bruſt hervorgebracht, indem ſich der Vogel mit faſt ſenkrecht gehaltenem Schwanze im Neſte dreht und die Stoffe andrü>t; die darüber befindliche ſteilere Neſtwand erhält ihre Geſtalt dur abwechſelnde Arbeit der Bruſt, des Flügelbuges und Halſes; der Neſtrand endli<h wird teils dur den Unterſchnabel, beziehentlih das Kinn, ungleih mehr aber dur ſchnelle niederdrüdende und wadelnde Bewegungen des Schwanzes geformt, dur Hin- und Herſtreifen des Unterſchnabels aber geglättet.“ Lange, zum Umwi>eln von Zweigen beſtimmte Halme werden vorher mit dem Schnabel gekerbt und gekni>t, Lehmklümpchen ſtets erſt längere Zeit geknetet. Außen oder innen vorragende Halme nimmt ein ſorgſam bauender Vogel weg; ungenügende Neſter erhöht und erweitert er oft no<, nachdem bereits Eier darin liegen.

Einige Vögel errichten gemein ſchaftliche Neſter, und die verſchiedenen Mütter legen in dieſen zuſammen ihre Eier ab, brüten wohl auch auf leßteren abwechſelnd; andere teilen einen gefellſchaftlih ausgeführten Hauptbau in verſchiedene Kämmerchen, von denen je eines einer Familie zur Wohnung dient; andere wiederum bauen ihr Neſt in das anderer Vögel, zumal in deſſen Unterbau, und niſten gleichzeitig mit ihren Wirten.

Über das Legen der Cier hat Hermann Müller ebenfalls die genaueſten Beobachtungen geſammelt und mir zu gunſten des „Tierlebens“ mitgeteilt. „Die meiſten Vögel legen morgens zwiſchen 5 und 9 Uhr und zwar häufig in derſelben Stunde. Das Legegeſchäft