Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

Ausſhlüpfen der Jungen. Neſtleben. 95

mütterlichen Bruſt zu {hwül, ſo ſchieben ſie ihre Köpfchen niht ſelten mit weit geöffneten Schnäbeln hervor, als ob ſie erſti>en müßten. Sorgſame Mütter wiſſen natürlich, was ihren Sprößlingen frommt, und laſſen ſich durch ſie in ihren Obliegenheiten nicht ſtören. Fa ein von mir beoba<htetes Zeiſigweib<hen du>te die dien Köpfe der von ihm erbrüteten Dompfaffen beharrlich in den Keſſel zurü>, weil ſie bereits am fünften Tage auf den Rand gelegt wurden und ihm beſhwerlih fallen mochten. Eine junge, unerfahrene Zeiſigmutter vermutete in den weit geöffneten Schnäbeln ihrer Erſtlinge Zeichen von Hunger und ſtopfte ununterbrochen Speiſebrei hinein, auh wenn die Kröpfe bis zum Platen gefüllt waren. Geſchah dadur< des Guten zu viel, dann zogen die Kleinen es vor, aus der Charybdis in die Scylla zurü>zuſinken und gelaſſen weiterzuſhwißen.

„Selbſt die jüngſten Vögelchen klammern ſi, wenn ſie merken, daß ſie aufgenommen werden ſollen, mit den Nägeln an die Neſtſtoffe. Dasſelbe geſchieht, wenn ſie behufs der Entleerung ihren ſchweren Leib an der Neſtwand emporſchieben oder die erſten ängſtlichen Flugübungen anſtellen. Auf dieſe Weiſe mögen ſie ſih bei zu großer Kühnheit vor dem Hinausſtürzen zu ſhüßen ſuchen. Die erſten Flügelſchläge fallen mit der erſten Fütterung zuſammen, verſtärken ſi allmählich und gewinnen ſ{ließlih anmutige Leichtigkeit, wie dies bei jungen Straßenſperlingen ſo leicht zu ſehen iſt. Die erſten Bewegungen des Mißbehagens ſtellen ſi ein, wenn die Mutter das Neſt verläßt und kühlere Luft eintritt: dann zittert mit den Flügeln der ganze Körper der Kleinen, und vielleicht wird durch dieſe raſhen Bewegungen der Blutumlauf beſchleunigt und die innere Wärme erhöht. Den erſten ernſt: lien Gebrauch der Flügel zur Erhebung über das Neſt zeigte ein Kanarienvogel an ſeinem 16. Lebenstage. Zunge Neſtvögel ſind wie kleine Affen: das Beiſpiel ſte>t an. Es gewährt einen erheiternden Anbli>, wenn ein Junges mit befiederten oder auh na>ten Flügeln zu flattern beginnt und unmittelbar darauf alle Flügelpaare gleichzeitig durcheinander [<hwirren. Die erſten Gehbewegungen geſchehen niht auf den Zehen, ſondern auf den Haen. Haben es die Vögel eilig, ſo fallen ſie nah vorn über und ſtüßen und fördern ſich vermittels der Vorderflügel. Wann die Füße ihre Thätigkeit beginnen, konnte ih wegen der inzwiſchen entfalteten und verhüllenden Federn niht wahrnehmen. Das geſ<loſſene Auge junger Zeiſige öffnet ſi< mit dem 5. Lebenstage. Doch währt es bis zum 10. Tage, bevor die Augen völlig erſchloſſen ſind.

„Gleich na< dem Abtro>nen beginnen die Fungen ihre Stimme hören zu laſſen. Von den im Zimmer erbrüteten Kanarienvögeln, Stieglißen, Zeiſigen und Domdpfaffen piepten am frühſten und lauteſten die Kanarienvögel, ſpäter und ſhwächer die Stiegliße und Zeiſige, am ſ<hwähſten und ſpäteſten die Gimpel, gleich als ob die ſpätere Geſangsfähigkeit der verſchiedenen Arten ſcon beim erſten Lallen ſi bekunden wollte. Dieſe Laute, zippende Töne, ſind keineswegs Zeichen von Hunger, ſondern im Gegenteile ſolche des höchſten Wohlbehagens, denn ſie verſtummen augenbli>li<h, wenn die Mutter ſich erhebt und kühlere Luft das Neſt exfüllt. Mit der Entwickelung des Körpers hält die der Stimme niht gleichen Schritt. Kanarienvögel piepen am 6. und 7. Lebenstage nicht ſtärker als am erſten. Nach Öffnung der Augen ſchreien ſie lauter, jedoh auh nur dann, wenn ſie ſehr hungrig oder aufeinander neidiſ<h ſind. Nähert ſi< ihnen etwas Verdächtiges, ſo verſtummen ſie ſofort und tauchen in den Keſſel hinab. Bei jungen Dompſfaffen tritt der Stimmwechſel am 14. Lebenstage ein. Junge Kanarienhähne verraten ſhon als Neſtlinge ihr Geſchlecht durch Knurren und knurrendes Zirpen, ebenſo die Zeiſige. Das erſte Dichten auf der Sproſſe vernahm i bei Kanarienvögeln am 19., bei Zeiſigen am 21. Lebenstage. Erſtere verlaſſen, nachdem ſie einige Tage vorher vom Neſtrande aus ihre Flügel wiederholt erprobt haben, am 14, oder am 16. Lebenstage die Wiege, kehren jedoch bei kühler Witterung auth wohl noh mehrere Tage und Nächte in ſie zurü>. Einzelne waren am 19. Lebenstage flügge und