Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

82 Siebente Drdnung: Suchvögel; erſte Familie: Regenpfeifer.

zur Südküſte zieht. Die Erklärung hiervon iſt niht ſ{hwer zu geben: unſer Vogel verweilt da, wo der Golfſtrom die Küſte beſpült, jahraus jahrein, und verläßt ſie da, wo die See im Winter zufriert, er alſo zum Wandern gezwungen wird. Gelegentlich ſeiner Reiſen zieht er ſoviel wie möglich der Küſte nah, überfliegt ohne Bedenken einen Meeresteil, höchſt ungern aber einen Streifen des Feſtlandes, gehört deshalb bei uns im Binnenlande überall zu den ſeltenen Vögeln. Diejenigen Auſternfiſcher, welche die Nord- und Oſtſee verlaſſen, finden ſhon an den franzöſiſchen Küſten geeignete Herbergen, während diejenigen, welche im Chineſiſchen Meere leben, ihre Reiſe bis nah Südindien ausdehnen.

So plump und ſ{<werfſällig unſer Vogel ausſieht, ſo bewegungsfähig zeigt er ſich. Er läuft in ähnlicher Weiſe wie der Steinwälzer, abſaßweiſe, gewöhnlich ſchreitend oder trippelnd, nötigen Falles aber au< ungemein raſh dahinrennend, kann ſih dank ſeiner breitſohligen Füße auf dem weihſten Schlicke erhalten, ſhwimmt, und keineswegs bloß gezwungen, vorzüglich und fliegt ſehr kräftig und ſ{hnell, meiſt geradeaus, aber oft auch in fühnen Bogen und Schwenkungen dahin, mehr ſ{hwebend als die meiſten übrigen Strandvögel. Seine Stimme, ein pfeifendes „Hyip“, wird bei jeder Gelegenheit ausgeſtoßen, zuweilen mit einem langen „Kwihrrrrr“ eingeleitet, man<hmal au< kurz zuſammengezogen, ſo daß ſie wie „kwik fwik fewik fewif“ flingt. Am Paarungsorte trillert er wundervoll, wohltönend, abwechſelnd und anhaltend.

Sein Betragen erklärt die Beachtung, die ihm überall gezollt wird. Es gibt keinen Vogel am ganzen Strande, der im gleichen Grade wie er rege, unruhig, mutig, ne>und kampfluſtig und dabei doch ſtets wohlgelaunt wäre. Wenn er ſich ſatt gefreſſen und ein wenig ausgeruht hat, ne>t und jagt er ſih wenigſtens mit ſeinesgleihen umher; denn lange ſtillſiven, ruhig auf einer Stelle verweilen, vermag er niht. Solches Ne>en geht zuweilen in ernſteren Streit über, weil jeder eine ihm angethane Unbill ſofort zu rächen ſucht. „Acht bis zehn dieſer Vögel“, erzählt Graba, „ſaßen auf einem oder auf zwei Beinen im beſten Schlafe nebeneinander, als ſie plößlih, dur<h das Vorbeifliegen einer anderen Schar und durch deren Geſchrei geſtört, aus dem Schlafe aufwachten. Dabei trat unglü>licherweiſe einer dem anderen auf den Fuß. Sogleich kam es zum Zweikampfe. Mit vorgeſtre>tem Halſe und Schnabel rü>ten beide wie Hähne aufeinander los, ſ<hlugen ſi mehrere Male mit den Flügeln und ha>ten ſi< mit dem Schnabel. Der Kampf währte niht lange, denn der eine wih, und ſein Gegner begnügte ſih, einige zornige und verächtlihe Bli>ke, mit den nötigen Gebärden begleitet, nahzuſchi>en.“ Solch innerlicher Hader iſt übrigens ſelten unter einer Geſellſchaft der Auſternfiſcher, weil ſie beſtändig Kämpfe mit fremdartigen Vögeln auszufe<hten haben. Aufmerkſamer als jeder andere Küſtenvogel, finden ſie fortwährend Beſchäftigung, auc wenn ſie vollſtändig geſättigt ſind. Feder leine Strandvogel, welcher naht oder wegfliegt, wird beobachtet, jeder größere mit lautem Rufe begrüßt, keine Ente, keine Gans überſehen. Nun nahen der Küſte aber au< andere Vögel, die jene als Feinde, mindeſtens als Störenfriede der Geſamtheit kennen gelernt haben. Sobald einer von dieſen, alſo ein Rabe oder eine Krähe, eine Raub- oder große Seemöwe, ſih von weitem zeigt, gibt ein Auſternfiſher das Zeichen zum Angriffe, die übrigen erheben fi, eilen auf den Feind zu, ſchreien laut, um ſeine Ankunſt au< anderen Vögeln zu verraten, und ſtoßen nun mit größter Wut auf den Eindringling hinab. Fn dieſem Gebaren gleichen ſie ganz den Kiebißen; ihre Waffe iſt aber vorzüglicher und der Erfolg um ſo ſicherer. Daß das übrige Strandgeflügel bald lernt, ihre verſchiedenen Stimmlaute zu deuten, z. B. den gewöhnlichen Lo>ton vom Warnungsrufe zu unterſcheiden, verſteht ſich von ſelbſt. Da, wo es Auſternfiſcher gibt, ſind ſie es, die vor allen übrigen das große Wort führen und das Leben des vereinigten Strandgewimmels gewiſſermaßen ordnen und regeln. Dem Menſchen weichen die liſtigen Geſchöpfe überall mit der nötigen Vorſicht