Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

74 Siebente Ordnung: Suchvögel; erſte Familie: Regenpfeifer.

erfuhr, läßt er den Beobachter ziemlih nahe an ſih herankommen; immer aber weiß er einen gewiſſen, für das Schrotgewehr gewöhnlich zu weiten Abſtand einzuhalten, und ſo kann man ihm ſehr lange folgen, ohne daß er ſi< zum Auffliegen entſchließt. Dieſe harmloſe Schlauheit hat ihm auf den Kanariſchen Fnſeln den Namen Kindertäuſcher“ verſchaſſt, weil unerfahrene Knaben wohl glauben mögen, ihn, der von ſeiner Flugbegabung keinen Gebrauch zu machen ſcheint, mit den Händen greifen zu können, aber zu ihrer Täuhung erfahren müſſen, daß ſeine verhältnismäßig kurzen Ständer ihn ebenſo ſchnell fördern wie die längeren Menſchenbeine den Knaben. Aber der Wüſtenläufer iſt keineswegs bloß. auf ſeine Füße angewieſen, ſondern auch ein ganz vortrefflicher Flieger. Erfährt er, daß er es mit einem gefährlichen Gegner zu thun hat, ſo erhebt er ſih mit leichtem, an den unſeres. Kiebißes erinnerndem, aber entſchieden ſ<hnellerem Fluge, eilt in ziemlicher Höhe über den Boden weg, wiegt ſi eine Zeitlang anmutig mit ausgebreiteten Fittichen über der Stelle, die er ſih zum Niederſeßen erwählt, und ſett hier das alte Spiel von neuem fort.

Seine Vorſicht wird ſehr bald rege; längere Verfolgung macht ihn außerordentlich ſcheu. „Den Jäger“, ſagt Bolle, „flieht er augenbli>lih, ſobald dieſer ſih ihm geradeswegs. nähern will. Man muß ihn erſt von ferne, dann immer enger und enger umkreiſen und ſcheinbar gar niht auf ihn achten, dann iſt man ſeiner Sache ziemlich ſicher. Doch gehört, ſeiner ungemein ſ{hnellen Bewegungen halber, immerhin noch eine niht unbedeutende Geſchi>lichkeit dazu, ihn im Laufen zu erlegen.“ Berittene läßt er unter allen Umſtänden näher herankommen als Fußgänger; es iſt aber ſehr ſ<hwierig, vom Pferde herab einen wirkſamen Shuß auf ihn abzugeben. Der bereits erwähnte Trupp, der ſich bei Alexandria aufhielt, wurde durch unſere fortgeſeßten Nachſtellungen zuletzt ſo ſcheu, daß wir uns weder zu Fuße noch zu Eſel ſhußgere<ht mehr nähern konnten und genötigt waren, uns hinter Steinen oder in Gruben zu verbergen und die Vögel treiben zu laſſen. Jedenfalls geht aus allen Beobachtungen zur Genüge hervor, daß auch die höheren Fähigkeiten des Wüſtenläufers wohl entwi>elt ſind. Seine Stimme habe ih niemals vernommen; von Heuglin bemerkt, daß der Vogel, obgleih im ganzen ſehr ſ{hweigſam, beim Aufſtehen einen kurzen zweiſilbigen Laut ausſtoße und, wenn er ſih mit anderen in der Luft umhertummelt, ein eigentümliches „pfeifend-rätſhendes“”/ niht lautes Geſchrei vernehmen laſſe.

Seinen Niſtplaß wählt der Wüſtenläufer auf dürren, mit kurzem Graſe ſpärlich bewachſenen Ebenen, au<h wohl auf ſteinigen Flächen. Als Neſt ſelbſt dient eine einfache Vertiefung. Das Gelege enthält 3—4 Eier. Dieſe ſind etwa 40 mm lang, 27 mm di> fkurzbauchig, am di>en Ende ſehr ſtumpf, gegen die Spige verſhmächtigt zugerundet, dünnſchalig, mattglänzend und e<t ſandfarbig, da die Grundfärbung ein bleihes Ocer- oder Sandgelb iſt und die Zeichnung aus aſ<h- und bräunlihgrauen Flächenſtrihen und Krigzeln beſteht, die ſih über die Oberfläche verteilen und nur um die Mitte des Eies zu einem etwas deutlicher hervortretenden Gürtel zuſammendrängen. Fm übrigen mangelt uns über das Brutgeſhäft no< ausführliche Kunde. Die kleinen Flüge, die man im Herbſte findet, beſtehen wahxrſcheinli<h aus dem Elternpaare und ſeinen Kindern, unter Umſtänden auh aus mehreren Familien. Jm Spätherbſte aber tragen ſcon alle Glieder eines derartigen Verbandes das ausgefärbte Kleid, und daraus geht hervor, daß das Jugendkleid ſehr raſh abgelegt, der Wüſtenläufer alſo ſhon im zweiten Frühlinge ſeines Lebens fortpflanzungsfähig wird.

Auf den Kanariſchen Fnſeln fängt man den Vogel, laut Bolle, auf eine ſehr einfache Weiſe. „Man ſtellt eine große tiefe Schüſſel oder ſonſt ein Thongeſchirr auf, wie man es in Norddeutſchland mit Sieben zu thun pflegt. Als Locfſpeiſe dient ein weithin leuhtender, gelber Maiskolben, an welchen mitunter no< ein Wurm geſpießt wird. Die Wüſtenläufer freſſen nun zwar höchſt ſelten Körner, gehen aber dem Mais nah, um Larven daraus hervorzuziehen. Sobald ſie am Kolben piden, fällt ihnen die Pfanne über den Kopf, und ſie