Der Gottesbegriff meister Eckharts : ein beitrag zur bestimmung der methode der Eskhartinterpretation

Neben diesen Texten über die totale Wesenseinheit des Fünkleins mit Gott steht ein anderer (Pf. 60: 195, 16 ff), im übrigen nicht minder charakteristisch, der von der thomistischen Lehre von der Einheit der substantialen Form ausgeht und nur die Wirkeinheit des Fünkleins mit Gott aussagt, nicht aber die Wesenseinheit, die es vielmehr mit den anderen (geschaffenen) Kräften der Seele gemein hat. Diese Bestimmung ist ein offenbarer Widerspruch. Das Licht, wie das Fünklein hier genannt wird, ist ungeschaffen und unschöpfbar, und es hat gleichwohl Wesenseinheit mit den niederen Kräften der Seele, von denen doch vorausgesetzt werden muß, daß sie kreatürlich sind. Bestimmt man demnach das Wesen der Seele nach diesem Licht, dann ist sie ungeschaffen und die geschaffenen Seelenkräfte sind mithin auch ungeschaffen: bestimmt man es aber umgekehrt nach den niederen Kräften, dann würde sich die ebenso paradoxe Folgerung ergeben: das ungeschaffene Licht ist geschaffen. Dieser Widerspruch zeigt, daß die thomistische Lehre von der Einheit der substantialen Form der Seele in ihrem ontologischen Sinn von innen her zersetzt ist. Nun ergibt sich aber die weitere Frage, die sämtliche Texte über das Ungeschaffene umspannt: Wenn auch in der Seele Geschaffenes und Ungeschaffenes ist, wie sollen dann beide mit einander bestehen können? Bricht dann die Seele nicht in zwei Hälften auseinander?

In der neueren Eckhartliteratur hat man diese Frage so zu lösen versucht, daß man sagte: Eckhart lehrt durchgängig die Geschaffenheit der Seele (was sich ja aus einer gewissen Gruppe von Predigten rechtfertigen läßt). Da nun unter Voraussetzung der thomistischen Anschauungen die Einheit der Seele gesprengt würde, wenn das Ungeschaffene eine Kraft der Seele sei, glaubte man darin eine Lösung dieses schwierigen Problems gefunden zu haben, daß Eckhart ja fast nie von einer Kraft der Seele, sondern durchgängig von einer Kraft, einem Etwasinder Seele spreche®”). Es sei trotz der Immanenz kein Teil der Seele; daher könne Eckhart mit vollem Recht die Ungeschöpflichkeit dieses Etwas behaupten und gleichwohl sagen, die Seele und alle ihre Kräfte seien geschaffen (Meerpohl p. 77). Meerpohl schil-

dert diese „Immanenz“ folgendermaßen: „Gerade das macht ja

Erkenntnis: „Humana cognitio .... pertingit ad angelicam cognitionem non secundum aequalitatem, sed secundum quamdam assimilationem. (In Boeth. de Trinit. 96 a. 1

corp. 5 ad 5). (Nach Grabmann, Die Lehre d. Heiligen Thomas von d. scintilla an.) Jb. f. Philos. u. spek. Theol. 14 (1900).

=) ef. Pahnke, Archiv f. Rel. Wiss. 25 (1925); Meerpohl, M.E.'s Lehre vom Seelenfünklein p. 76f.: Karrer, Das Göttliche ... . 108 Nr. 19:

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