Geschichte der auswärtigen Politik Österreichs im 19. Jahrhundert.

C. Das Fahr der Umwälzungen. 113

Jnterventionsluſt war eigentli<h nur Kaiſer Nikolaus erfüllt. Metternich behielt dagegen ruhig Blut und winkte dem kühnen Dränger ab. Weſſenberg, der eben damals den Poſten eines öſterreichiſchen Geſandten im Haag antrat, erhielt den Auſtrag, in erſter Linie alles zu tun, um den völligen Sieg der Revolutionspartei in Belgien zu vereiteln. Darum ſollte er darauf hinarbeiten, die Souveränität des Königs der Niederlande über die belgiſchen Provinzen aufrehtzuerhalten. Bei der gegenſeitigen Abneigung, die zwiſchen den Belgiern und den Holländern einmal vorhanden ſei, bei der Verſchie denheit der religiöſen und wirtſchaſtlihen Jutereſſen könne aber nicht alles beim alten bleiben. Darum möge Weſſenberg die Trennung der Verwaltung und andere beruhigende Maßregeln vorſchlagen !). Der Diplomat überzeugte ſich bald, wie wenig dieſe Verhaltungsmaßregeln angemeſſen waren; eine Denkſchrift, die er Anſang November au83arbeitete, ging in ihren Folgerungen unvergleichlich weiter. Das Band zwiſchen Belgien und Holland, beſagte das Schriftſtück, werde ſich niht aufrehterhalten laſſen. Es ſei darum nur zweierlei anzuſtreben: die Beibehaltung des monarchiſchen Prinzips in Bel=gien und die Vereitelung der Verſchmelzung dieſes Landes mit Frankreich. [

König Wilhelm der Niederlande war nicht geſonnen, auf einen Teil ſeines Reiches zu verzichten, und um die ſhwierige Beruhi4 gungsarbeit niht bloß, mit den eigenen militäriſchen Hilfskräften beſorgen zu müſſen, wandte er ſih an die Großmächte um Unter=4 ſtüßung. Ehe dieſe Note bei den Staatskanzleien eintraf, hatte die engliſche Regierung ſchon die kluge Anregung gegeben, die in Lo ndon noch tagende Konferenz der europäiſchen Geſandten mit der Beilegung des belgiſh-holländiſchen Streites zu beauftragen. Dieſer Vorſchlag wurde auh angenommen und Öſterreich ließ ſich zuerſt durch den Fürſten Eſterhazy und Freiherrn von Weſſenberg vertreten. Jn London rü>ten zwei Männer in den Vordergrund, die zwei verſchiedene Epochen, zwei verſchiedene Charaktere und zwei verſchiedene Syſteme verkörperten. Für Frankreich ſprach Talleyrand, der ſich ſeinem 80. Geburt8tage näherte, während Englands Politik durch eine aufſtrahlende Leuchte, durch den erſt vor wenigen Wochen in das Miniſterium berufenen Palmerſton vorgezeichnet wurde. Jm Dezember 1830 waren die Diplomaten bereits übereingekommen, Belgien die ſtaatliche Unabhängigkeit zu gewähren und

1) Alfred Nitter von Arneth. Johann Freiherr von Weſſenberg. 2. Band. Wien 1898.

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