Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

Tataren erklärt ſi< Vieles in der neueſten Weltgeſchichte !

Ganz andere Leute ſind die T\cherkeſſen, die nah Schamyl's Untergang ebenfalls lieber ihr Vaterland verließen, als unter dem verhaßten mosfowitiſhen Zwange zu leben, und denen die Türkei, wie jeden Flüchtling, einerlei, wel<her Nation und Confeſſion, ihre Grenzen gaſtfrei geöffnet und ſie da und dort auf Staatsgrundbeſih angeſiedelt hat. Allein die Söhne des Kasbe> ſind nicht dazu geſchaffen, den Pflug zu führen und friedli< den Boden auszubeuten. Ein geſtohlenes Pferd oder Rind hat für fie einen dreifah höheren Reiz als ein ſelbſtgezüchtetes ; ſagt ja doch eines ihrer Sprichwörter: „Mit dem Handſchar kauft man am billigſten“. Die großartigen Raubzüge, welche ſie dereinſt in die immer grünen Buſhwälder von Fmretien und Mingrelien, in die Thäler des Rion und Terek unternommen, müſſen natürli<h aufhören; allein die Kate läßt das Mauſen nicht. Die ſo oft mit einem ritterlichen Strahlenſchein eingerahmten Helden des Kaukaſus haben bei ihren deutſchen Nachbarn in der Dobrudſcha den ärgerlichen Ruhm erworben, daß ſie unverbeſſerlihe Viehdiebe ſeien, das Ungeziefer mit einer Art von nationalem Cult pflegten und ſi<h vor einem guten Bauernprügel weit mehr fürchteten als vor der Flinte irgend eines Gouvernements-Kawaſſen. Sie ſelbſt find immer bewaffnet bis unter die Zähne, allein dieſe Armatur iſ meiſtens nur auf den Schein gerichtet; ihre Gewehre treffen immer nur das, was ſie nit treffen ſollen. Daß jeder Tſcherkeſſe bereit ſei, für ein Paar Ochſen ſein Weib und für ein halbes Dußend Hammel ſeine Tochter zu verkaufen, darauf ſ{<wören deutſhe und französſiſche Colonen. Dagegen loben fie die Kaukaſier als das mäßigſte, genügſamſte und leihteſt zu behandelnde Volk, wenn man ihm nur ſeine kleinen und einige große Schwächen nachſieht. Viele Freude und ſonderlihen Gewinnſt hat die Türkei aus der Aufnahme der glaubensverwandten Tſcherkeſſen bis jeßt niht gehabt, eher das Gegentheil. Fhre Aule (Anſiedlungen) mit den zeltartigen Isbas (Hütten) erſtre>en fi< in der Dobrudſcha von Gretſhi über Küſtendſhe bis Varna ; außerdem befinden ſi< größere kaukaſiſche Colonien in der Provinz Rumili zerſtreut, ferner auf der Halbinſel Gallipoli und im Waldgebirge des Dragodina. Die in der Nähe von Conſtantinopel und Adrianopel ſeinerzeit begründeten Anſiedlungen der naiven Verähter von Mein und Dein mußten im Fntereſſe der öffentlichen Sicherheit aufgehoben werden. Nächſtdem finden ſi als Colonen: Bulgaren, die den Ruf haben, die fleißigſten Aerbauer und geſchi>teſten Gärtner “zu ſein; als lettere werden ſie bekanntli<h im ganzen Orient vor allen anderen Nationen bevorzugt; Griechen, beſonders aus Macedonien und

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von den Jnſeln, in deren Händen aller Großhandel ‘iſt, während die Juden ſi< auf das fleinere Geſchäft werfen, nebenbei aber namentli< als Hauderer (Lohnkutſher) und Frachtfuhrleute fungiren. Die Eiſenbahn von Czernavoda nah Küſtendſhe hat dem letzteren Betriebe vielen Abbruch gethan, die eigentlihe Dobrudſcha iſt aber dur dieſelbe vom großen Verkehr ziemlich abgeſchnitten worden. Auffallend iſ es für Federmann, der zum erſten Male na< Tultſ<ha kommt, daß die Juden ſämmtli<h deutſ< \pre<hen und verſtehen; allerdings jenes Fudendeutſ<h, welches ungewohnten Ohren ebenſo ſingt wie Hebräiſch; aber der Deutſche kann ſi< ihnen doh verſtändli<h machen, ſelbſt wenn er niht verſteht. Und die gleihe Beobahtung macht man in ganz Rußland, in Kleinaſien und Egypten; überall pflegt das Volk Gottes germaniſhes Fdiom, freilich nah ſeiner Weiſe. Wer wollte demna< daran zweifeln, daß es in Oeſterreich und Deutſchland ein Neu-Paläſtina gegründet habe?

Das orientaliche Sprichwort ſägt: „Der FFude macht den Chriſten, der Zigeuner den Juden, der Grieche den Zigeuner, der Moskowiter macht ſie Alle“. Nichtsdeſtoweniger ſind die zahlreich in der Dobrudſcha herumziehenden Zingari dieſelben Parias, die ſie waren, als ſie vor Fahrhunderten von den Ufern des Fndus oder Ganges auszogen. Sie nähren ſi< ſ<li<t und redlich dur< Viehkuren, Pferdehandel (meiſt ohne Geld), Schmiedearbeit — ſie ſind die einzigen Hufſhmiede des Landes, und zwar ſehr geſhi>te — endlich dur< Diebſtahl. Den lebteren verzeiht man dieſen Naturkindern leiter wie jedem Anderen — man weiß eben, daß der Fnſtinct ſie treibt, und dann ſind fie wirfli<h wenig wähleriſ< bei ihren Annexionen.

Aber auh e<te Ruſſen reihen ſi< unter das bunte Völkergemiſh der Dobrudſcha, und zwar die aus dem orthodoxen Heimatlande grauſam verbannten altgläubigen Lipowaner, deren Klöſter Mittelpunkte vorzüglicher Cultur, namentli<h von Obſt und Wein ſind.

Allen dieſen zuſammengewürfelten Nationalitäten gegenüber befinden ſi< die Herren des Landes, die Türken, in der entſchiedenen Minderzahl. Außer den politiſhen Behörden und ihrem Gefolge ſind auffallend wenige Osmanen in dieſem von jeher der Hohen Pforte etwas entrü>ten und gleichgiltigen Landſtriche anſäſſig; die Mehrzahl derſelben beſteht aus Handeltreibenden oder Zurükgezogenen, die in der Stille von den Zinſen eines kleinen Capitals leben wollen ; beſonders gering vertreten iſ unter ihnen der Stand der Gutsbeſißer, vornehmli<h der kleineren Landwirthe. Für Anſiedlungen iſt die ganze Dobrudſcha,

‘deren öſtliher Theil mit weiten, ungeſunden

Sumpſfgebieten und Bra>kwaſſerſeen erfüllt ift, 101%