Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

mörderiſchen Feuer aus den ruſſiſhen Schüßengräben Stand halten; immer mehr licteten ſi die Reihen der tapferen Bataillone von Erzerum, Erzinghian und Malata, der Tod hielt reihe Ernte untex den braven Redifs mit den muthigen Herzen unter dem elenden, oft zerriſſenen Rocke. Jn heldenmüthiger Ausdauer hielten dieſe Bataillone ihre verzweifelte Poſition, und erſt die Nacht brachte den Befehl des Marſchalls, auf den Höhenrücken zurü>zugehen und nur die Vorpoſten in der Stellung zurü>zulaſſen.

Spät am Abend begann das Gefeht auf dem linken türkiſhen Flügel heftiger zu werden. Mit großer Bravour erſtürmten die ruſſiſhen Tirailleurs die erſte Höhe, welhe die Türken den ganzen Tag hindurch feſtgehalten hatten ; gleihzeitig mit den türfiſhen Truppen gelangten die Ruſſen zu Thale und wollten eben die zweite Anhöhe erklimmen, als die türkiſhen Unterſtüßzungen mit dem Bajonnet entgegengingen und die Nuſſen über die genannte Anhöhe hinaus verfolgten. Noch einmal verloren die Türken ihre Stellung, no< einmal gelang es ihnen, ſi wieder daſelbſt feſtzuſeßen; erneuerte heftige Angriffe des Feindes jedo< brachten die wichtigen Höhen in den Beſity desſelben und veranlaßten die Türken, die Nacht in den zu Anfang des Gefechtes eingenommenen Stellungen zuzubringen.

Eine Juninaht in den armeniſchen Hohgebirgen hat troy des herrlihſten Mondſhimmers beſonders dann nichts Verführeriſhes an ſi, wenn man zur innern Erwärmung nichts Anderes als einen ſteinharten Zwieba> mit einem von weit her geholten Schlu Waſſers erhält. Beim Tage wärmt wenigſtens die wohlthätige Sonne den von Hunger geſ<wächten Körper, und ſo ſehnt man ſi< denn nach der Morgenröthe, die Fortſezung des Kampfes und hoffentli<h Veränderung der Poſition bringen ſoll.

Bei der Armee war eine ernſte Stimmung zu bemerken ; die großen Verluſte hatten keine greifbaren Erfolge gehabt, und man wollte den Feind beſiegen, man wollte ihn fliehen ſchen. Alles erwartete die Erneuerung des Kampfes am frühen Morgen.

Der Marſchall ſelbſt war no< niht über ſein weiteres Vorgehen im Reinen; er kannte nicht die zerrüttete Verfaſſung, in welche ſein entſchloſſener Angriſf den Feind verſeßt hatte. Die Geſhüßmunition war aus8gegangen, die Verluſte waren als ſehr empfindli< feſtgeſtellt. Die erſten Recognoscirungen ergaben, daß der Feind ebenſo wie der Marſchall ſeine Linien um etwas zurü>gezogen hatte; dagegen fand lebhafter Vormarſch von Cavallerie-Tirailleurs auf dem Tags zuvor von Fnfanterie beſeßten re<ten Murad-Ufer ſtatt. Von Jufanterie war dort nichts zu ſehen. Es war fünf Uhr Morgens, als Schamyl[l

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Paſcha von einer eingehenden Recognoscirung zurü>fehrte.

Schamyl Paſcha, der Enkel des großen Tſcherkeſſen-Häuptlings gleihen Namens, iſt 35 Jahre alt, von hoher Statur, hat blondes Haar und einen gefräuſelten, langen rothen Bart, ſehr wenig weißlihen Schnurbart, lihte Augenbrauen und Wimpern, kleine, ſtehende Augen; ſeine Züge find ſtark, ſein Kinnbart, das Geſicht, zu Anfang wenig anſprehend, erſcheint bei längerer Prüfung durc eine gewiſſe Männlichkeit und einen Ausdru> von Würde ziemli<h einnehmend. Sein Koſtüm iſt ſehr einfa< und äußerſt maleriſch. Eine hohe Müßte von feinſtem weißen Lammfell mit weißem Tuchſa>k bede>t das ho< und aufrehtgetragene Haupt. Der lange, {hön ſ{<warze Tuchro>, um die Taille dur< einen ganz ſ{<malen ſilbernen Gürtel beinahe bis zur Unmöglichkeit zuſammengeſhnürt, iſt mit ſ<hwarzen Sammtpatronen geziert, welche mit langen, feinen, - goldenen Ketten an die Bruſt geheftet ſind. Ein einfaher Dolch und tſcherkeſſiſher Säbel in ſilbergetriebenen Scheiden hängen am Gürtel. Die kleinen tſ<herfeſſiſhen Patronen- und Kapſeltäſhchen ſind von Silber und am Gürtel wie au< an einer feinen, über eine Schulter gezogenen Silberborde angehängt. Lange, hohe Lederkamaſchen (Knöpfſtrümpfe) und feine Saffianſtiefel ohne Sporen vervollſtändigen den Anzug. Schamyl trägt einen ſtarken Silberring an dem Daumen der re<ten Hand, und an einen kleinen Riemen, an den Goldfinger angehängt, den gewöhnlichen Kantſchu der Tſcherkeſſen. Er reitet in der Regel cinen hochedlen arabiſchen Atlasſhimmelhengſt von herrlihen Formen, welcher das tſcerkeſſiſhe Reitzeug— Zaum, Bruſtgeſtell und Schweifriemen von Silberborden, als Sattel ein feines, ſ{warzes, ſilbergeſti>tes Lederkiſſen in der Form zweier mit den Spitzen verbundener Herzen, mit ſ{ön gearbeiteten, ſilbernen tſherkeſſiſhen Steigbügeln — trägt. Schamyl Paſcha ſteht in großer Verehrung bei den Tſcherkeſſen. Die Neuangefommenen, auh die älteſten und angeſehenſten Männer, bezeigen ihm ihre Unterwürfigkeit, indem ſie ſeine Hand küſſen und dann ihre Stirne an dieſelbe drü>en; er iſt ein freundlicher, zuvorkommender Mann mit beinahe europäiſchen Manieren, ein eifriger General, und man hoffte, er werde re<ht bald zeigen, daß er au< ein glü>licher Reiterführer iſt. Man erzählte, daß in Folge Aufforderung dieſes Sham yl ſein Bruder, Flügeladjutant des ruſſiſhen Kaiſers, in den Kaukaſus deſertirt ſei und die Führung der in offenem Auſfſtande befindlihen Abchaſen übernommen habe.

Schamyl Paſcha meldete endlich, daß der linke rufſiſhe Flügel mit ſeiner JFufanterie eine bisher niht feſtzuſtellende Bewegung ausgeführt habe, da man nirgends auf Fußtruppen ſtoße,