Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

fort auf Plewna abmarſchiren ſollen. Scha < ow sfoi zählte auh darauf und ſchi>te Boten über Boten an Krüdener, er möge ſi< um Gotteswillen do< beeilen, aber Krüdener kam nicht und in rufſiſhen Militärkreiſen behauptete man allgemein, daß Krüdener aus kleinlicher Eiferſucht abſichtlih ſo handelte.

Die Schlacht bei Plewna bot Gelegenheit, eine höchſt intereſſante Bemerkung zu machen. Die rufſiſhen Truppen {lagen ſi<h mit vieler Bravour, ſo lange es fi< darum handelt, einen Angriff auszuführen; ſie beſißen etwas von jener bekannten franzöſiſhen Furie, es fehlt ihnen aber die Zähigkeit der deutſchen und engliſhen Soldaten. Einmal geſchlagen, kennt die Panique keine Grenzen mehr. So geſchah es bei Plewna. Es war fein Rü>zug, den die Ruſſen nah zwanzigſtündigem Kampfe antraten, ſondern eine wilde, verzweifelte Flucht, von der man ſi< nur ſ{<wer einen Begriff machen kann. Weit hinter den Reihen der Kämpfenden ſtanden die Sanitätswagen und Ambulanzen des rothen Kreuzes voll von Verwundeten, niht einmal dieſe konnten gerettet werden. Als ſi< in Siſtowo die Nachricht von der Niederlage der Ruſſen verbreitete, wollte ſi Alles na< Zimnitza retten. Das Gedränge auf der einzigen Brücke über die Donau war ein ungeheures, und viele Menſchen ertranken in dem Fluſſe. -

Nah den erſten ernſtlihen Kämpfen war es mögli<h, über den rufſiſhen Soldaten ein Urtheil abzugeben, und das Urtheil über den gemeinen Mann mußte nah Allem ſogar von einem feindlich Denkenden nur günſtig ausfallen. Schon in dem orientaliſhen Kriege 1854, worin die eiſerne Disciplin des ruſſiſhen Soldaten unter dem ſ{<weren Scepter des Kaiſers Nikolaus ſih bewährte, war das Aushalten in Strapazen und ſeine Anſpruchlofigkeit im Eſſen und Trinken berühmt. Der ruſſiſhe Soldat war jedo< ein anderer geworden. Die eiſerne Disciplin hatte unter Kaiſer Alexander's humanem Regiment einer anderen Behandlung Plaß gemacht, was auh bei dem Ruſſen angebracht iſt. Der Ruſſe hat nationale und niht zu verwerfende Eigenthümlihkeiten, welhe es mögli<h machen, ihn auh mit milderem Zügel zu handhaben.

Vor Allem beſißt der gemeine Mann eine förperliche Rüſtigkeit, wie keine andere Nation. Bei einiger Pflege und guter Koſt müſſen dieſe fräftigen Geſtalten in Wind und Wetter aushalten. Die Pflege iſt unter Alexander beſſer als unter Nikolaus, der rufſiſhe Soldat iſt entſchieden in der Menſchenwürde geſtiegen. Neben dieſen körperlihen Vorzügen iſ ſeine ungemeine Liebe zum kaiſerlihen Hauſe für den Soldaten von unbere<henbarem Vortheil. Sein Vaterland iſt ihm die Mutter, die ihn ernährt, ſein Kaiſer iſt ſein ſhügender Vater und Hoherprieſter. Hieran

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fnüpft ſi< glei<h no< ein Nuten der allgemeinen Wehrpflicht, daß die Regimenter je aus einem Bezirk ausgehoben werden; nur die Polen werden ‘in dex Armee, aber niht zu ihrem Nachtheil, vertheilt; die Regimenter, welche meiſt einen beſtimmten Namen führen, der mit der Geſchichte des Regiments im Zuſammenhang ſteht, wetteifern in Folge deſſen in ihren Leiſtungen. Der gemeine Soldat hört es gern, wenn man von ſeinem Regiment mit Namen ſpricht; au<h wird er auf die Frage, bei welchem Regimente er ſei, niemals die Nummer ſagen, ſondern ſtets den Namen. j

Das Verhältniß des gemeinen Mannes zu ſeinem Offizier iſt mehr das der Zuſammengehörigfeit als ein rein militäriſhes. Die Sprache, welche der Offizier dem gemeinen Manne gegenüber führt, iſt bei uns undenkbar; die Folge davon iſt ein äußerli<h weniger ſſtrammes Weſen' als bei dem preußiſchen Soldaten; es iſt dies fein böſer Wille, ſondern es iſ durch das weniger abgeſchloſſene Weſen des behandelnden Vorgeſeßten entſtanden. Dieſes lettere iſt meiſt in den Regimentern zu finden, wel<he im Fnnern in ganz fleinen Garniſonen, theilweiſe ſogar in Dörfern - ſtehen ; der Offizier, der mit zwei oder drei Kameraden auf einem Dorfe wohnt, wird von ſelb auf dieſes Benehmen hingewieſen. „Wir haben nichts weiter in unſeren kleinen Garniſonen,“ ſagte ein Offizier, „ſelb unſere Lectüre iſt dadurch, daß erſt viele, viele Werſt von uns ein kleiner Buchhändler wohnt, der nurx \<le<tes Zeug hat, niht zu genießen ; eine Sendung von Petersburg und Warſchau wird immer

“mit Jubel begrüßt. “

Der ruſſiſhe Soldat kann ſi< ni<t an die Beſorgung von Kleinigkeiten gewöhnen, Aber eben dieſe Kleinigkeiten und Genauigkeiten des großen militäriſhen Organismus haben europäiſche Armeen zu ihrem Ziele geführt. Der ruſſiſche Soldat, ſelbſt der vielgerühmte Koſak, übt den Vorpoſtendienſt mit beiweitem weniger Genauigkeit aus. Die Folgen dieſer Behandlung des Vorpoſtendienſtes au< von Seite der Cavallerie hat man im erſten Treffen bei Plewna geſehen und die Ruſſen hatten es fühlen müſſen. Bravour muß man vor Allem dem ruſſiſchen Soldaten zugeſtehen. ,

Man kannte bis jet den ruſſiſ<hen Soldaten wenig im zerſtreuten Gefeht und hatte eben auf dieſe ungeſtüme Bravour bei der Ausbildung niht Rückſicht genommen. Hierdurh entſtand ein Mißverhältniß, da die Leute dem Führer leicht aus der Hand kamen und für ſi allein kämpften. Bei Plewna hatten die Truppen in ihren einzelnen Theilen ſi< feſtgebiſſen ; ſie wollten die vielbeſprochene Redoute nehmen und im Eifer des Gefechtes wurde es niht mehr beachtet, daß der Oberxcommandirende befohlen hatte, das Gefecht