Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

Die zweite $<la<t bei FYlewna.

Seit der Schlacht bei Plewna waren über zwei Wochen verfloſſen, ohne daß eine oder die andere von den friegführenden Parteien eine zweite Entſcheidung gewagt oder verſucht hätte. Der Sieger ſchien ſi<h dadur< ein Armuthszeugniß auszuſtellen und bewies, daß auh ſeine Truppen niht minder wie die des Beſiegten zerſprengt worden waren und einer völligen Neuorganiſation

bedurft hatten, um wieder kriegstüchtig dazuſtehen. Es iſt ein alter Vorwurf, den man den Türken macht, nämli<h, daß ſie wohl zu ſiegen verſtehen, aber nie den Sieg benüßen können. Nah dieſer Art Kriegführung werden und können ſie den Feind nie los werden. — Bei der ruſſiſchen Kriegführung macht ſi< ein anderer Uebelſtand fühlbar, der niht minder wie bei den Türken auf den Gang der Operationen ſtörend wirkt. Dies iſ die Schwierigkeit der Beſchaffung der Verpflegung und der Nachſhübe von Verſtärkungen.

Die außerordentli< lange Operationslinie aus Rußland nah Bulgarien erforderte es, daß Truppen, Kriegsmaterial und die Verpfleg8mittel auf der einzigen Bahnlinie na< Bukareſt verſendet werden mußten. Dieſe Bedürfniſſe konnten demna<h nur allmälig eintreffen. Dies hatte zur Folge, daß oft die Armee entweder ohne Verpflegung, ohne die nöthige Munition oder ohne Ergänzungen war, wenn ſie deren bedurfte, und die Operationen nothwendig ſto>en mußten, wie es anfangs, glei< na< dem Donau-Uebergange bei Zimnita und na< Gurko’s Balkan-Uebergang geſchah.

Dieſe Schwierigkeit vermehrte ſi< bei den Ruſſen no<h in erhöhtem Maße in Bulgarien, und namentli< im Balkan-Gebirge: in Bulgarien, weil die Bedürfniſſe einer zahlreihen Armee nur über die einzige Uebergangsſtelle der Donau bei Zimnißza herangezogen werden konnten und dann für das Corps Gurko über beſ<hwerlihe Päſſe weiter befördert werden mußten, Bei den Türken macht überhaupt der Mangel eines geregelten Provianttrains jeder Operationsberehnung einen Strich dur< die Re<hnung. Es war ſomit die „Bedürftigkeit“ — wie ſi< General Williſen ausdrü>te — der beiden friegführenden Armeen, welcher niht na<hgekommen werden konnte, hauptſächli<h an der Verzögerung der Entſcheidungsfämpfe \<huld. Neben dieſer war bei den Türken und wohl zum Theil au< bei den Ruſſen, die mangelhafte Organiſation und taktiſche Ausbildung der Ergänzungsmannſchaften das Motiv, daß man die Entſcheidung eher ferne rü>te als aufſuhte. Dies war gerade bei der türkiſheri Armee der Fall, die unter dem perſönlihen Commando des Oberbefehlshabers Mehemed Ali im Feſtungs-Viere> ſtand. Dieſe Armee hatte nah übereinſtimmenden Berichten ni<ht mehr als 15 reguläre Bataillone (10.000 Mann); alle übrigen waren aus Landwehren und Freiwilligen zuſammengeſeßt. Daß eine Armee, wenn ſie, wie geſagt wurde, au< 70.000 Mann gezählt haben ſoll, mit ſolhem Soldatenmateriale niht viel ausrihten konnte, mußte Jedem einleuchten.

Man brauchte ſi< alſo ni<t zu verwundern, wenn Mehemed Ali von ſeiner angeblichen UVeberlegenheit keinen Gebrau<h mate und das Gros der Armee in verſhanzter Stellung bei Rasgrad ſtehen ließ. Würde er na<h dem Rathe der turkophilen Freunde, unberücſihtigt um die Armee des Großfürſt-Thronfolgers bei Ruſtſchuk, der ſi< ihm ohne Zweifel an die Ferſen gehängt hätte, den Vorſtoß gegen Tirnowa zur Vereinigung mit O8 man Paſcha gemacht haben, hätte ihm dieſe möglicherweiſe au< gelingen können, aber er wäre dann wahrſcheinli<h nimmer in's Feſtungs-Viere zurückgekommen. Mehemed Ali