Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

Am 23. Auguſt, Donnerſtag, wurde mit Morgengrauen der Kampf in der Lom-Front erneuert. Nah fünf Stunden indeſſen erſhütterte die türkiſhe Artillerie die ruſſiſchen Stellungen, demontirte zwei Geſchüße und traf drei ruſſiſche Munitionswagen, welche in raſcher Aufeinanderfolge in die Luft flogen. Um 11 Uhr fam die Brigade Aſſim Paſcha im vollen Laufſchritt die Höhe hinunter und ſtürmte Cifardana, welches von den Ruſſen in wilder Flucht geräumt wurde. Nun jagten die Tſcherkeſſen bis zum Ufer des Lomflußes denſelben nah und trieben die Ruſſen vollends über dieſen Fluß zurü>. Auf dem linken Flügel, wo die Ruſſen no in Kutſchukköi ſtanden, wurde hierauf von denſelben ebenfalls, um nicht abgeſchnitten zu werden, der Rückzug angeordnet,

Ruſſiſcherſeits war an dieſen Kämpfen eine ganze Diviſion aus vier Regimentern JFnfanterie nebſt zehn Escadronen Cavallerie und vier Batterien engagirt. Eine dritte Brigade ſtand nordweſtli< von Ajaslar in Reſerve. Die Ruſſen ließen 400 Todte und circa 1000 Verwundete auf dem Sclachtfelde zurück. Die türkiſchen Verluſte waren wegen der gede>ten Poſition mäßig. Die türkiſchen Vorpoſten wurden hart bis an das Ufer vor Ajaslar vorgeſchoben.

Die Bedeutung des dreitägigen Gefechtes bei Ajaslar wurde indeſſen übertrieben und als eine Niederlage der Ruſſen dargeſtellt. Der eigentlihen Sachlage nach und in ſeinen Wirkungen war es aber als ein ſtrategiſ<her Sieg der Ruſſen zu betrachten.

Nach dem Operationsplane der Türken ſchien ein Hauptſchlag der türkiſchen Hauptarmee gegen Tirnowa von Osman-Bazar aus beabſichtigt geweſen zu ſein, ſobald Truppen vom 3. ruſſiſchen Corps von Tirnowa zur Unterſtützung des ſtark angegriffenen Schipka-Paſſes abgehen würden. Mehemed Ali ſchien den Moment der Shwähhung der Garniſon dieſer Stadt zum Angriff in dieſer Richtung für günſtig und entſcheidend gehalten zu haben. Und in der That wäre es au ſo geweſen, weil im Falle der ruſſiſchen Niederlage bei Tirnowa das ganze zur Vertheidigung des Scipka-Paſſes verwendete Corps der Ruſſen abgeſchnitten und zur Capitulation gezwungen worden wäre. Dieſer Möglichkeit nun vorzubeugen, geſhah der ruſſiſche Angriff in der Richtung von Esfi-Djuma, das iſt in die rete Flanke des türkiſchen zur Operation gegen Tirxnowa beſtimmten Corps. i

Dieſes Corps ſtand unter dem perſönlichen Oberbefehle Mehemed Ali's. Es hatte den re<hten Flügel bei Esfi-Djuma unter Salih Paſcha, mit Vortruppen bis an den Kara (ſ<warzen) Lom auf deſſen rehter Thalwand (Kiricer Höhen) vorgeſchoben. Die Mitte, Safvet Paſcha, hatte eine gegen Tirnowa vorgeneigte

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Stellung bei Osman-Bazar mit Vortruppen bei Keſarowa, 31/, Meilen von Tirnowa entfernt, und der linke Flügel, Abtheilungen von der Südarmee Suleiman Paſcha, welher mit dem Gros derſelben den Schipfka-Paß eben angriff, bei Bebrowa, ‘am Ausgangspunkte des von Sliwao nördli<h des Balkan führenden Paſſes. Dieſe drei Armee-Abtheilungen waren, wie es ſcheint, zum ſofortigen Angriff Tirnowas beſtimmt, ſobald General Radetky namhafte Verſtärkungen aus dieſer Poſition zur Unterſtüäßung des hart bedrängten Schipka-Paſſes ablaſſen würde.

Auf die Naricht von der Beſetzung des Dorfes Schhipka (19. Auguſt), welche als Einleitung zur Attaque des glei<hnamigen Paſſes gelten konnte, gab nun das rufſiſhe Obercommando der unter dem Großfürſt - Thronfolger ſtehenden Diviſion Pokeroſſ vom 13. Corps den Befehl, bei Ajaslar über den Lom zugehen und die auf den jenſeitigen Kiricer Höhen poſtirten Truppen der türkiſchen Diviſion Salih Paſha zurüzutreiben. Fn Folge deſſen entſpann ſi ein dreitägiger Kampf; beiderſeits wurde mit großem Muthe und Erbitterung gekämpſt (vom 21. bis 924. Auguſt); der Kampf endete mit Behauptung der früher innegehabten gegenſeitigen Stellung. Die Türken bezogen die Kiricer Höhen, während die ruſſiſhe Diviſion alle ſpäteren Verſuche der Türken, fie aus ihren Poſitionen bei Popkivsi und Sultankiöi am linken Lom-Ufer zu vertreiben, tapfer zurü>wies.

Es ſtellte ſi< ſona< der ruſſiſche Angriff bei Ajaslar als nur zum Scheine unternommen, als eine Diverſion dar, die ihren Zwe>, das Corps Mehemed Ali's zu feſſeln und vom Angriff von Tirnowa abzuhalten, vollſtändig erfüllt hat.

Man hatte von den großen Feldherreneigenſchaften Mehemed Ali's viel Aufhebens gema<t und in ihm, weil er ein osmaniſirter Preuße iſt, {on einen „türkiſchen Moltke“ geſehen. Gleichwohl war ſein erſtes Debut als Feldherr kein ſolches, daß der preußiſche Stratege auf ſeinen Landsmann und türkiſhen Collegen ſtolz ſein konnte. Schon daß er der Anordnung des türkiſchen Kriegsrathes, den Schipka-Paß in der Front anzugreifen, nicht widerſtand und ſeine beſſere Ueberzeugung dem Willen der kriegsräthlichen Nichtswiſſer in Stambul unterordnete, zeigte niht, daß er aus dem Holze geſhnibt war, aus dem man in Preußen Feldherren macht, und wenn er wie bisher niht energiſhere Entſchlüſſe zeigte, ſo mochten die Türken beſſer gethan haben, Abdul Kerim wieder an ſeine Stelle zu ſeben, als ſi< dúr< ihn compromittiren zu laſſen. Wie lange das Commando halten ſollte, erwies ſich ja báld.

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