Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

Türkiſche Gräuellhaten.

Eine furchtbare Epiſode bieten die Schandthaten, welche ſi<h die Türken zu Schulden fommen ließen, Es ſträubt ſi<h die Feder, alle die fur<htbaren Scenen zu ſchildern, und es würde hier niht Raum ſein, ſie alle vollzählig aufzuzählen. Nicht genug, daß ſie die in ihre Hände fallenden Verwundeten der männlichen Attribute beraubten, ſo brachten ſie dieſelben na<hher in grauſamſter Weiſe um. Es werden Fälle conſtatirt, daß Leichen mit Beilen in Stücke gehauen wurden. Es ſei erlaubt nur einige von den vielen Schre>ensſcenen aufzuführen.

So bildete das von Varna nur einige Stunden entlegene blühende Städthen Kawarna, faſt ausſ<ließli< von Griehen bewohnt, am 17. Juli den Schauplaß unerhörter Gräuelthaten. Schon einige Tage vorher waren dem Gouverneur von Varna die ganz beſtimmten Meldungen zugegangen, daß etwa 2000 Tſcherkeſſen und Tartaren das reizend gelegene und äußerſt nett gehaltene Kawarna belagern. Der Gouverneur verhielt ih dieſen Mittheilungen gegenüber ganz gleihgiltig und ordnete keinerlei Maßregel an, um dem hart bedrängten Städtchen Hilfe und Rettung zu bringen. Die Belagerung hatte ſ<on volle drei Tage gedauert, als man ſi< endli< do< entſ{<loß, von Baltſchik aus den dortigen Commandanten der Redif-Abtheilung, Kurt Mehemed Ali, nah Kawarna zu entſenden, um einem Blutvergießen vorzubeugen. Dieſer würdige Militär kam indeß nah Kawarna, ohne auh nur einen Mann ſeiner Truppenabtheilung mitgebracht zu haben, und begab ſi< ſoglei< in das dortige Militärgefängniß, wohin er die vier Aelteſten des Städtchens zu ſich beſhied. Jn Gegenwart von vier Häuptlingen der Tſcherkeſſen verlangte nun Kurt Mehemed Ali von den Einwohnern die Summe von 60.000 Piaſtern als eine Art Löſegeld, wogegen ſi< die Tſcherkeſſen verbindli<h machen ſollten, in längſtens zwei Stunden abzuziehen.

Während aber dieſe Verhandlungen no< im Zuge waren, fielen einige Tſcherkeſſen aus der Begleitung ihrer Häuptlinge über die vier wehrloſen Bürger Kawarnas her, ermordeten zwei derſelben und verwundeten die zwei Anderen, welche inzwiſhen die Flucht ergriffen hatten. Dies gab nun das Sigual zu einem allgemeinen Gemeyßel. Die vor dem Militärgefängniß harrenden Tſcherkeſſen, Laſen (Laſiſtaner) und Tartaren ſtürzten ſi< wüthend auf die hriſtlihe Bevölkerung Kawarnas, drangen in die Häuſer ein, ermordeten Jeden, der ihnen Widerſtand leiſten wollte, raubten Alles, was ſie mitſchleppen konnten, mißhandelten Frauen und Mädchen und ſte>ten die Stadt an allen Ecken

und Enden in Brand, die mit den hoh emporſ<hlagenden Flammen eine ſhauerlihe Staffage der kannibaliſhen Scenen bildete. Die Schlächterei währte mehrere Stunden hindur< und hörte ſelbſt na< der Ankunft der ſ<leunigſt aus Balt\<ik entſendeten Panzerfregatte und der aus Bazardſchik abgeſandten Truppen no< niht auf. Der auf der Fregatte von Kaimakan von Baltchik mitgebrachte Telegraphiſt, ein Armenier Namens Eranozian, wurde bei ſeiner Ausſchiffung von den Tſcherkeſſen dur< einen Schuß getödtet und ſodann verſtümmelt. Der Plat, die hübſche Kirche, das Schulgebäude, ſowie die meiſten Häuſer wurden eingeäſchert. Einigen Bewohnern gelang es, ſih auf die Berge zu flüchten, einigen Anderen glüte es unter dem Schutze der Dunkelheit, das kleine Fort bei Kali-Akma zu erreichen, wohin fi etwa 3000 Perſonen, meiſt Griechen, aus den verſchiedenen bena<hbarten Ortſchaften vor den Tſcherfeſſen geflüchtet hatten. Die Zahl der Opfer von Kawarna wurde auf mehr als 1000 Perſonen geſhäßt. Auch die Zahl der von den Tſcherfeſſen geraubten Mädchen betrug beiläufig 50. Zur Auffindung der Vermißten wurden allſeits die größten Anſtrengungen gemacht, allein die türkiſchen Behörden, welche ſi< wohl bewußt waren, daß ſie allein die Schuld an dem Vorgefallenen trugen, weil ſie troß wiederholter Bitten und Aufforderungen keinerlei Vorkehrungen zum Schutze der ‘bedrängten Stadt getroffen, zeigten alles Intereſſe, um die Größe des angerichteten Unheils na< Möglichkeit zu verde>en. Der Flottencom-

- mandant Haſſan Paſcha ließ an Ort und

Stelle -38 Tſcherkeſſen verhaften, do< nur 20 derſelben wurden in das Gefängniß abgeführt. Kurt Mehemed Ali wurde nicht verhaftet. Das Unerhörteſte aber war, daß etwa 100 von den Tſcherkeſſen, welche die Gräuel in Kawarna begingen, hierauf den Mutafſarif Ali Bey begleiteten, welher auf der „Suche nah den Schuldigen“ die Gegend durchzog.

Der den hriſtlihen Einwohnern von Kawarna und den Dörfern in den Bezirken Baltſchik und Mangalia in dex Zeit verurſahte Schaden erreichte die ganz ungeheure Summe von über 3 Millionen türkiſche Livres. An Ochſen allein wurden in dieſen Gegenden etwa 15.000 Stüc fortgeſhleppt.

Die am Leben gebliebenen Bewohner Kawarnas wurden auf der türkiſhen Fregatte nah Baltchik gebra<t und von dort mittelſt Booten nach Varna befördert.

Die türkiſche Fregatte begab ſi<h ſodann nah Kali-Akma, um auch die dorthin Geflüchteten aufzunehmen. Auh das engliſhe Kriegs\<hiff „Rapid“, mit dem Metropoliten, dem Mutaſſarif und dem engliſhen Conſul an Bord, war alsbald