Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

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Thaten im Kampfe gegen die Ungläub igen verliehen wird, entſtand dieſelbe bereits vor fünfhundert Fahren. Murad L[., der Zertrümmeker des ſerbiſchen Kaiſerreihes in der blutigen Schlacht auf dem Amſelfelde (15. Juni 1389) hatte neben ſeinen fkriegeriſhen Eigenſchaften au< no< den lobenswerthen Zug, daß er große Achtung vor geiſtigem Streben und Wiſſen an den Tag legte. Selbſt vollkommen unwiſſend und niht einmal des Schreibens mächtig, bemühte er ſi glei<wohl, einen gewiſſen Schein zu wahren, und ſo ſollte auh ſeiner nächſten Umgebung der Beweis geliefert werden, daß der ſiegreiche Padiſhah der Schriftzeichen niht ſo ganz unfkundig ſei. Er pflegte nämlich auf ſämmtliche Urkunden mit den geſhwärzten Fingern ſeiner Hand einige, Krähenfüßen nicht unähnlihen Zeichen, ohne jedwede Bedeutung, anzubringen, aus denen die gefälligen Höflinge das Wort „Siegrei ch“ entzifferten. Murad I. war nämli<h der erſte osmaniſhe Sultan, der ſih den Titel „EI1 Ghazi“ beilegte. Das wunderliche Zeihen jedo<, heute die „Thugra“ genannt, haben die folgenden Sultane bis auf den Tag als Staatswappen (au< als Stampiglie ſtatt der Unterſchriſt) beibehalten und werden nur verſchiedene falligraphiſhe Zuſäße mit dem jeweiligen Thronfolger ausgeſchieden und gewe<hſelt.

“Ueber die Ausſpre<hung des Wortes herrſchen verſchiedene Anſichten. Einige geben an, man müſſe Hrazi ſagen; es wäre dieſer ſo anſpru<svoll kriegeriſhe Türkentitel eiù einfaches hebräiſhes Wort, „Az Azi“ heißt nämli<h im Hebräiſchen: mächtig, ſiegreih, daher der jüdiſche Ausdru> „Azüs Ponim“ (fe>es Geſicht). Nun ſprechen aber die Araber den Buchſtaben Ajin, der der erſte Buchſtabe des Wortes „Az“ iſt, wie „g“ aus, daher „Ghazi“. Jn Nordafrika \hreibt man zwar auh dieſes „g“, es wird jedoh wie ein dumpfes „r“ ausgeſprohen. Aus dem arabiſ<hen Worte „G hazia“ (man ſpreche alſo Hrazia, bedeutend ſiegreiher Beutezug) machten dann die Ftaliener das bekannte Wort „Razzia“.

Dagegen meinen andere Spra<hkenner, es wäre überhaupt ſehr gewagt, Fremdwörter dur deutſhe Ausſprache zu bezeihnen, und gelte dies inSheſonders von den aus reinen Guttural(Kehl-) Lauten beſtehenden arabiſhen Vocabeln (Lernwörtern). Solche, nur in den ſemitiſchen (den von Sem abſtammenden Völkern eigenthümlichen) Sprachen mit großem Ungeſtüm ausgedrü>ten Töne ſind für den Abendländer geradezu unnahahmbar und es wäre verlorene Mühe, ein arabiſches oder hebräiſches „Gain“ dur ein fehlerhaftes „Hrain“ erſetzen zu wollen. Es nähere ſi< daher „Ghazi“, wenn auh in ſoler Form immerhin unvollkommen, denno<h mehr dem Originale als „Hrazi“. Dieſer

ſonderbaren Umwandlungs8methode ſei wohl der in die europäiſchen Sprachen übergegangene Neologismus (neue, ſprahwidrig gebildete Redeart) nNazzia" (Krieg8- oder Raubzug) zuzuſchreiben, aber dasſelbe ſollte von re<t3wegen „Gaziat“ heißen, da es das Weibliche zu „Gazin“ oder „El Gazi“ iſt. Es könne von einer etwaigen Verſetzung arabiſher Wörter im Sinne europäiſher unter einander ſtammverwandter Mundarten wohl nie die Rede ſein, da die Hauptmerkmale aller ſemitiſhen Sprachen — rauhe Kehllaute, drei Radikale und beſonders Starrheit der Mitlauter, ſowie Schhweigſamkeit der Selbſtlauter eine ſolhe Verſezung niht geſtatten würden. Daß das arabiſche „Ghazi“ eins ſei mit dem hebräiſhen „Aziz“ (kühn, fe>) wäre ganz irrig. Das Lettere entſpricht wohl dem arabiſchen „aziz“ (mächtig, glorreih) und daher kommt das „Ab-ul- Aziz“ (Diener des Glorreichen 2c. Gottes) ſteht jedo< in feinem Zuſammenhange mit „G ha zi“, das mit erſterem ungefähr dieſelbe Aehnlichkeit hat wie der Tag mit der Nacht. ,

Sei dem übrigens wie ihm wolle — ni<hts harafteriſirte die bis dahin erzielten Reſultate der Feldzüge in Bulgarien wie in Armenien, als daß der Sultan nunmehr, ohne daß ſelbſt die Nuſſen ſagen konnten, die Auszeihnung wäre eine unverdiente, in den beiden Welttheilen, in Europa und in Aſien, den Titel „Siegreich“ an ſeine Feldherren Os man und Mukhtar Paſcha verleihen konnte, und daß andererſeits die Ruſſen Niemanden hatten, dem ſie einen ſolchen Titel geben konnten. Der einzige Titel, der auf ruſſiſcher Seite in dieſem Kriege bis dahin aufgetau<ht war, iſt: „Der Czar Befreier“. Aber während die Bulgaren vergebli< auf die Befreiung warteten, ſtatt deren ſie bis dahin nur Drangſale der ärgſten Art, Noth, Elend, Verbrennung ihrer Dörfer und ihrer Städte, den Ruin ihrer ganzen gegenwärtigen Geſchlehtsreihe eingeerntet hatten, drehten die Kaukaſus-Bewohner den Spieß um; auch ſie wollten befreit ſein, aber niht dur< den Czaren, ſondern vor dem Czaren. Und ſo hatten die Ruſſen, zur Noth mit dem Aufſtand in Abchaſien (SuchumKaleh) fertig geworden, auh {hon wieder eine no< größere und gefährlihere Erhebung in Dagheſtan zu bekämpfen. Fn den Kämpfen, an denen ſi< 6000 Dagheſtanzen betheiligten, blieben ein Oberſt todt, 130 Mann todt und verwundet, niht. dur< die Türken, ſondern durh die ruſſiſchen Unterthanen.

M ehemed Ali konnte ſi< bei dem Vorgehen des Sultans als in Ungnade 'gefallen betrahten und ahnen, was weiter folgen würde.

Der Rebell wird belohnt und in ſeiner Würde erhöht, der pflihttreue General wird beſtraft und ſeines Amtes beraubt; in der Aus-