Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

für die Unabhängigkeits-Erklärung Serbiens getroffen worden waren. Am 11. Dezember ſollte die Feier mit einigen Kanonenſalven aus der Belgrader Feſtung eingeleitet werden. Am 12. ſollte ein fürſtli<hes Manifeſt erſheinen. Der Tag wurde darum gewählt, weil am 12. Dezember 1830 Serbien als autonomes Staatsweſen von den Großmächten anerfannt wurde. Die fremden Vertreter, welche ſonſt am Andreastage bei Hofe zu Gratulationen zu erſcheinen pflegten, beſchloſſen, Belgrad für den Tag zu verlaſſen. Nur der rumäniſche Geſandte hatte Auftrag erhalten, der Beglü>wünſ<hung Ausdru> zu gehen. Der Beginn des Krieges ſollte erſt na< der Eröffnung - der Skuptſchina ſtattfinden.

Zwei Zwiſchenfälle von entſcheidender Wihtigfeit hatten jedo< den Fürſten veranlaßt, die Action zu beſchleunigen. Jn Semendria und Kragujewaß kam die Polizei einer weitverzweigten Verſchwörung auf die Spur, deren Ziel der Sturz der Dynaſtie war. Am 20. Dezember ſollten a<t Bataillone na<h Belgrad marſchiren und einen anderen Herrſcher proclamiren. Sehr viele Offiziere ſollten an dem Complote theilgenommen haben. Wer die Stimmung der Landesbevölkerung kannte, konnte faum das Gelingen eines ſol<hen Pronunciamentos bezweifeln. Die raſche Grenzüberſhreitung dur< die Truppen fonnte allein den Sturm, der im Anzuge war, beſchwören. Zweitens drängte der ruſſiſche diplomatiſche Staatsrath Perſiani zur Action. Am 14. Dezember war eine Note des Reichs-

fanzlers Gortſchakoff in Belgrad eingetroffen, -

welche in den Fürſten drang, mit dem Befehl an die Truppen zur Ueberſchreitung der Grenze __ni<t mehr zu zögern. Der ſfoglei<h verſammelte Miniſterrath beſchloß, den Krieg, ohne eigentliche Kriegserklärung, ſofort zu eröffnen und zugleich ein Memorandum über die zwingenden Gründe zum Friedens8bhruhe den Vertretern der Großmächte zu übergeben.

Indem Rußland die Serben über die türfiſhe Grenze herbeirief, dachte es kaum daran, dur die Bundesgenoſſenſchaft derſelben die militäriſhen Ausſichten des Krieges gegen die Türkei zu erhöhen. Seit Plewna's Fall bedurfte Rußland ſol<her Hilfe kaum mehr. Aber die ſerbiſhe Action bezeichnete eine neue Phaſe des Krieges, ſie war das Anzeichen, daß in dieſem Kriege wirkli<h das Schi>ſal des Orientes entſchieden werden ſollte. Das in der Schlacht auf dem Amſelfelde vor fünf Jahrhunderten von ‘den Türken niedergeworfene Slaventhum ſollte unter der Aegide des „Protectors der Slaven“, des ruſſiſchen Czaren, ſeine Wiederauferſtehung feiern. Auf den Trümmern der halbtauſendjährigen türkfiſhen Herrſchaft hoffte man im ſlaviſchen Lager jezt neue Ordnungen

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errihten zu können, die wieder Jahrhunderte überdauern ſollten. Die Unabhängigkeit Rumäniens und Serbiens, die Vergrößerung Montenegros waren nur die erſten Punkte des großen Zukunſtsprogramms, das dur< den völligen Untergang der europäiſhen Türkei beſiegelt werden ſollte.

Noch an demſelben Tage, in ſpäter Nachtſtunde, erging der telegraphiſhe Befehl an die Corps8commandanten am Favor, Timok und bei Alexinay, Alles für die zu unternehmende Grenzüberſchreitung vorzubereiten. Der längſt erwartete Eintritt Serbiens in die Action hatte endlich. ſtattgefunden.

Fürſt Milan von Serbien, der nicht nur abermals ſeinem Suzerän die Treue gebrochen, ſondern au< den Mächten, welche gleichſam dur ihre Bürgſchaft ihm im vorigen Jahre Krone und Land gerettet, erließ nun folgende Proclamation :

Serben! Als ih in meiner Proclamation vom 21. Februar den Abſchluß des Friedens zwiſchen Serbien und der Pforte ankündigte, gab ih eu< au< bekannt, daß die Vertheidigung der heiligen Sache, für wel<he wir gekämpft haben, in mächtigere Hände übergegangen ſei. Seit jener Zeit hat die türkiſche Race ihre Geſchichte mit neuen unerhörten Schre>en bereichert. Plünderung, Verwüſtung und Meßeleien haben ſi<h über alle Theile des Reiches ausgebreitet. Hauptſächlih über die ſerbiſchen Landſtriche, über Alles, was unſeren Namen trägt, wurden dieſe Geißeln mit der größten Heftigkeit entfeſſelt. Wiewohl Artikel TT des Friedens8-Protocolls vom 16. Februar die vollſte Amneſtie zu Gunſten jener unſerer unglü>li<hen Brüder ſtipulirt, die in Serbien Schuß und Unterkunft gefunden haben, ſo hat denno< der muſelmaniſhe Fanatismus insheſondere ihnen gegenüber ſeiner Rachewuth die Zügel ſchießen laſſen. Jm Vertrauen auf die internationalen Verträge haben wix die größte Zahl dieſer Unglücklihen überredet, an ihren heimatlihen Herd zurü>zufehren. Auf unſeren Nath in ihr Land zurü>gekehrt, ſahen ſie fih unter verſchiedenen Vorwänden neuen Verfolgungen, neuen Vergewaltigungen ſeitens ihrer Unterdrücker aus8geſeßt. Vergebens hat meine Regierung zu wiederholtenmalen bei der Hohen Pforte gegen dieſe ſchreiende Vertragsverleßung proteſtirt. JFndem die türkiſhe Regierung dieſe neuen Gewaltthaten ungeſtraft ließ, hat ſie ihr feierli< gegebenes Wort mit Füßen getreten.

Serben! Nach einer ſo offenbaren Verleßung der ſeitens der Pforte Serbien gegenüber eingegangenen Verpflichtungen ſind wir nicht länger verpflichtet, dieſe peinliche Lage zu ertragen u. ſt. w. — Außer den Verſchwörungen, welche die Pforte in2geheim gegen unſere innere Sicherheit {<miedet, ſürhtet ihr Miniſter des Aeußern niht, uns