Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

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London befand ſi<h überhaupt in der Fieberhiße der Aufregung. Zuerſt kündigte der Miniſter am 24. Fanuar Abends im Parlamente an, daß er am Montag - einen außerordentlihen Credit für die Armee und Flotte fordern werde. Darüber Beſtürzung unter den Liberalen, Radi-

calen und wie ſonſt die Freunde des Czaren in-

England heißen mochten, und der Triumph der Patrioten, daß England endli<h aus ſeinem lethargiſhen Schlafe zu erwachen beginne. Den Ernſt des Augenbli>es konnte Niemand beſtreiten, denn ſelbſt die größten Bewunderer Rußlands fonnten nicht leugnen, daß es Englands unwürdig ſei, von dem Czar und ſeiner Regierung bei der Naſe herumgeführt zu werden, und daß eine Großmacht es ſi< niht gefallen laſſen könnte, wie ein Bettler bei Rußland zu antichambriren, bis es dem Fürſten Gortſchakoff gefallen werde, die Englands vitalſte Fntereſſen berührenden Bedingungen dem dortigen Cabinet bekannt zu geben.

Bald darauf kam die Meldung, daß Lord Carnarvon und Lord Derb y ihre Reſignation überrei<ht hätten. Zu gleicher Zeit wurden auh gewiſſe Bedingungen veröffentlicht, welhe Rußland dex Türkei unterbreitete, mit der Meldung, die Türkei habe dieſelben angenommen und der Waffenſtillſtand ſei bereits unterzeichnet oder auf dem Punkte, unterzeichnet zu werden.

Mit ungeheuerer Aufregung ſah man der Parlamentsfitßung entgegen. Die Radicalen und Freunde Gladſtone's hatten {hon das ganze Land mit Depeſchen überſ<hwemmt, in welchen ſie ihre Anhänger zu Meetings (Volksverſammlungen) aufforderten, um die Politik des Cabinets womögli<h zu vereiteln. So trieb die engliſche Oppoſition Politik angeſichts der größten Gefahr, in welcher ſi England ſeit ſeinem Beſtehen vielleicht befand. Englands Größe in der Zukunft ſtand auf dem Spiele, allein die Anhänger Gla dſt one's wollten die Situation zu einem Parteifampfe und womöglich Parteiſiege ausbeuten.

Der Abend kam und die Parlamentſizung begann. Jm Unterhauſe, ſowie im Oberhauſe wurden die Miniſter mit Fragen überſ<hwemmt. Da erfuhr man auh aus dem Munde der Miniſter, daß der engliſhe Admiral den Auftrag erhalten hatte, die Dardanellen hinaufzuſegeln, allein da die Regierung im Laufe des Tages FJnformation über die ruſſiſhen Bedingungen erhielt, ſo wurden die Ordres an den Admiral widerrufen. Freilich ſei die Fnformation

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über die ruſſiſ<hen Bedingungen nur unvollſtändig und confidentiell, allein Lord Beaconsfield hielt dieſelbe für genügend, um cine gute Baſis für den Frieden abzugeben. Er bedauere lebhaft, dem Parlamente die Bedingungen niht mittheilen zu können, denn ſo ſehr die engliſhe Regierung die Oeffentlichkeit liebe und Alles veröffentliche, die continentalen Regierungen folgten leider nicht dieſem Beiſpiele, und er habe ein Billet von dem Grafen Schuwalow erhalten, welches ihm nicht geſtatte, die Bedingungen dem Parlamente mitzutheilen. Doch am folgenden Tage Mittags, um zwei Uhr, wurde eine Depeſche aus Pera des Fnhalts bekannt, daß die engliſhe Flotte unter den Salutſhüſſen der Landbatterien in den Dardanellen die enge Straße hinaufgefahren ſei, was wohl nur einem zu ſpäten Eintreffen der Funſtructionen an Admiral Hornby zugeſchrieben werden konnte.

Schon als am 12. Januar die Ruſſen über Adrianopel auf Gallipoli vorrü>ten, machte England die Vorſtellung, daß jene Operation, welhe darauf abzielte, die Dardanellen unter die Controle Rußlands zu ſtellen, als Hinderniß für die Erwägung der Bedingungen zur endgiltigen Regelung angeſchen würde, und verlangte von Rußland die Verſicherung, niht auf Gallipoli vorrü>en zu wollen. Fürſt Gortſchakoff antwortete am 15. Fanuar, Rußland beabſichtige ni <t auf Gallipoli vorzurü>en, wenn nicht türkiſhe Truppen dort concentrirt würden, und verlangte ſeinerſeits die Verſicherung Englands, Gallipoli niht beſetzen zu wollen. Allein die Ruſſen rü>ten vor und als Suleiman Paſcha ſi in der Richtung von Gallipoli zurüczog, beſ<hloß die Regierung, die Flotte in die Dardanellen zu ſenden.

Der Sultan ſandte auf Verlangen Englands einen Ferman, in welchem die Zulaſſung der Flotte geſtattet wurde; ſobald es aber hieß, das die Pforte bereit ſei, die Frieden$baſen anzunehmen und daß die Dardanellenfrage niht allein durch Rußland und die Türkei, ſondern durch eine Conferenz geregelt werden ſolle, wurde die Flotte rü>beordert.

Allein trob dieſer neuen Friedenshoffnung wu<s die allgemeine Aufregung in England täglih mehr; doh bald darauf langte die Nachriht in London ein, daß die engliſche Flotte nach der Beſika-Ba i wieder zurückgekehrt ſei.