Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten
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Die Frriedens-Ankerhandlungen, türkiſ<he S$<huß-
Die Ruſſen waren während der FriedensUnterhandlungen unaufhaltſam vorgerüct. Südlich des Balkan waren es zunächſt die Küſtenpunkte Burgas und Rodoſto, jener am Pontus, dieſer am Marmara-Meere, bis zu denen die Vortruppen der Fnvaſion8armeen vorgedrungen waren, dann im Junnern die Orte Eski-Baba und Kirk-Kiliſſa, und nördli<h des Balkan, neben Osman-Bazar, Rasgrad, wo die erſte Diviſion des 13. Armeecorps am 28. Fanuar 1878 eingerü>t war.
Am 1. Februar waren die Ruſſen nux no<
einen Tagmarſh von Conſtantinopel entfernt. | Erſt am 31. Januar war der Waſfenſtill-
ſtand unterzeichnet worden, allein gerade während der Waffenſtillſtands-Verhandlungen ließ Rußland der Türkei die ganze Strenge eines erbarmungsloſen Siegers fühlen. Längſt waren die türkiſchen Delegirten mit unumſchränkter Vollmacht ausgerüſtet, Alles gut zu heißen, Alles zu unterſchreiben, was Rußland nur immer fordern möge. Die härteſten Bedingungen waren im Voraus angenommen; die Unterwerfung war ſo vollſtändig, wie der Sieger ſie nur immer wünſchen fonnte. — Allein troßdem wurde der Abſchluß der Verhandlungen verzögert, wurde dem ‘Kriege fein Stillſtand geboten; es ſcien faſt, als ob man die Qual des Beſiegten verlängern, an ſeiner Verzweiflung ſi< weiden wollte. Erſt als dieſe Tortur der Verhandlungen einen Aufſchrei der allgemeinen Entrüſtung gewe>t, als der Sultan ſi< an den Czaren gewandt hatte, um den Waffenſtillſtand zu erflehen, da erfannten die Ruſſen, daß es Zeit ſei, inne zu halten. Die Unterzeichnung des Waffenſtillſtandes wurde end[ih zugelaſſen.
Die Unterhandlungen Server und Namyk Paſchas im Hauptquartier des Großfürſten Nikolaus waren abſichtli<h verzögert worden. Nath einer langen und beſchwerlichen Reiſe waren die ottomaniſhen Bevollmächtigten drei Wegſtunden vor Kaſanlik angekommen. Hier nöthigten ſie die für Wagen ganz unpaſſixbar gewordenen Straßen ihre Equipagen zu verlaſſen und zu Fuß weiter zu wandern. Der Tag war {hon ſehr vorgerü>t, als ſie Kaſanlik erreihten; niht8deſtoweniger war es ihre erſte Sorge, an den Großfürſten Nikolaus das Begehren um eine Audienz rihten zu laſſen. Der Großfürſt ließ ihnen antworten, daß, er\<öpft,- wie ſie von der Reiſe ſein müßten, ihnen vor Allem einige Ruhe nöthig ſei, und daß er ſie am Morgen des nächſten Tages empfangen wolle. Jun der That wurden ſie am darauf-
Zimmermann, Geſch. des orient. Krieges.
die Congreß-Idee und das ruſſiſ<hund Trußbündniß.
folgenden Tage abgeholt und zum Großfürſten geleitet, der ſie mit ausgeſuchter Höflichkeit empfing. Während -einer halben Stunde drehte ſi die Unterhaltung um den Regen und das \<höne Wetter, um die Zufälligkeiten der Reiſe, und der Großfürſt entfaltete hierbei eine bezaubernde Liebens8würdigkeit. Plöblih jedo<h eine ernſte, faſt könnte man ſagen ſteife Miene annehmend, ging er mit folgenden Worten auf den Gegenſtand der Zuſammenkunft über: „Sie wiſſen, daß Sie hierhergeklommen ſind, um die Friedens- Präliminarien und den. Wa ffen ſtillſtand zu unterzeihnen. Sie haben hier nihts zu erörtern. Sie müſſen die Bedingungen, welche i< Fhnen jeßt mittheilen werde, entweder annehmen oder verwerfen. Meine Jnſtructionen lauten in dieſer Hinſicht ſehr beſtimmt“, Und dies ſagend, überreichte der Großfürſt Server Paſcha ein Papier. Die ottomaniſhen Bevollmächtigten verlangten, die ihnen übergebenen Vorſchläge zu erwägen, und verabredeten eine Begegnung mit dem Großfürſten für den nächſtfolgenden Tag.
Nach Hauſe zurückgekehrt, verbraten ſie den Reſt des Tages und die Nacht damit, einen Gegen-Entwurf auszuarbeiten, mit dem ſie ſi am Tage darauf bei dem Großfürſten einfinden wollten. Dieſer aber, ſeine finſtere Miene von Tags zuvor wieder annehmend, bemerkte ihnen, jedes Wort mit Nachdru> betonend: „Fh glaube Jhnen bereits geſtern geſagt zu haben, worin meine Jnſtructionen beſtehen. Jh bin kein Diplomat, ih bin Soldat und fenne nur meine Ordre. Wir haben uns hier in keinerlei Erörterung betreffs der Vorſchläge, die ih Jhnen mitzutheilen beauftragt bin, einzulaſſen. Jh darf daher die Einwendungen oder Bemerkungen, welche ſie dagegen vorzubringen hätten, niht anhören, geſ<hweige denn von Jhrem Gegen - Entwurf Kenntniß nehmen. Ueberlegen Sie ſi< die Sache. Wenn Sie unſere Borſchläge, ſo wie ſie ſind, niht unterzeichnen zu fönnen glauben, werde ih Sie mit allen Fhnen gebührenden Ehren zu den türkiſhen Vorpoſten zurübringen laſſen, und es wird mir das Bedauern bleiben, Sie nur für ſo kurze Zeit geſehen zu haben“.
Nachdem er no< hinzugefügt, daß er nur unter dieſen Bedingungen einen Waffenſtillſtand abzuſchließen ermähtigt ſei, beſtellte der Großfürſt die Bevollmächtigten der Pforte abermals für den nächſten Tag zu ſich. Es erübrigte dieſen nihts mehr, als zu erklären, daß ſie annähmen. Nur verlangten ſie, daß die von Herrn Nelidoff verfaßte Einleitung zum Pro-
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