In jedes Menschen Gesichte steht seine Geschichte : Lehrbuch der Physiognomie : mit 140 Abbildungen
— 191 —
Sobald man jeine Kenntnifje genügend fundiert hat, gebe man ic) jchranfenlos dem Menfhenftudium Hin. Das lebende Objekt ift das Iehrreichjte. In der Volfsverfammlung, im Konzertjaal, in der Gefellihaft und Kirche, im Gedränge auf Bahn= höfen, beim Zujammenlauf auf der Straße, bei Unglüdsfällen, bei Freunden und Befannten bleibe man jid) immer bemußt, daß jede Berührung mit anderen eine Jundgrube der Menjchenfunde ift, an der wir nicht ungenüßt weilen dürfen. Aus jedem Umgang muß Material und Nußen für die Menjchenfunde ges ihöpft werden. Bejonders empfiehlt es id) zurüdhaltende und ji verjtellende Naturen zum Erzählen oder Spiel zu bewegen, gleichgültig ob e$ um Geld oder blos die Ehre gilt. Wie fie am Spieltijch die Eleinen Zufälligfeiten des Schiejals hinnehmen, jo werden fie bei den großen Ereignifjen des Lebens jich verhalten. Hier werden fie bald ihre Arglofigkeit oder Schlauheit, ihre Gutmütigfeit, ruhigfühle Berechnung oder die fleinen Bos= heiten an den Tag legen — und die Mienen werden eine reiche Fülle mimifchen Stoffes darbieten. Die harakterologijhen yagdteviere, dieje Kunjtgriffe und „Pfiffe“ muß jeder Phyliognom fich jelbjt herausfuchen, wie jeder Menjc) feine beftimmte Methode hat andere auszuhorchen. yede Methode ift gut, wenn jie gejchidt angewandt wird.
Die Kunjt des Durhjhauens ift ein überaus wichtiger Beitandteil beim Studium der Phyjiognomie. Hier werden gutes Beobadhtungs-, Ahnungs- und Schlußfolgerungsvermögen die beiten Dienjte leiten. Der Phyfiognom muß über ein gutes Gedädhtnis, rafhe jharfe Auffafjungsgabe verfügen und mit den fid) oft mwiderfprehenden flüchtigen und mwildbemegten Geelen= zuftänden vertraut fein. Der welt- und menfchenerfahrene Wann, unterjtüßt von einem feinen intuitiven Gefühl, wird hier Die größten Erfolge erzielen. Das Wichtigite ift, den Urjachen jeder Seelenregung nacdhjzuipüren, fie in ihren feinen Anfängen erfajjen zu lernen, jtatt in dem Taufenderlei ihrer Wirfungen jid) zu verirren. Darum ift das Studium der Piychologie von größtem Nugen, von notwendiger Erfordernis. Mitten im pulfierenden Leben muß der Menjchenbeobadhter feine phyjiognomijchen Fühlhörner ausjtreden und unter den jeltfamften und entgegengejegten Charakteren jeine Kenntnifje bereihern. Er joll nicht wie Schad