Poimandres : Studien zur griechisch-ägyptischen und frühchristlichen Literatur

Glossolalie. Schluß des Hauptberichtes. 59

uns haben.) Gerade darum wäre es von höchster Bedeutung, wenn wir einen bestimmten Teil für jene frühe Zeit, auf welche die Einleitung uns wies, mit Sicherheit in Anspruch nehmen könnten. Allein die Analyse hat nicht erfüllt, was wir von ihr erhofften. Wohl hat sie große Interpolationen und doppelte Rezensionen desselben Gedankens gezeigt, und meine erste Behauptung, der uns vorliegende Text des Poimandres sei nur die Überarbeitung einer älteren Fassung, ist durch sie zwingend erwiesen. Aber unmöglich war es bisher, einen einheitlich gedachten Kern, ein System des Poimandres herauszulösen. Wir müssen die Methode der Untersuchung ändern, um uns von anderer Seite ein Verständnis des Stückes zu erschließen.

II.

Woher stammen jene eigenartigen Vorstellungen, welche uns in dem Hauptteil des Poimandres begegnen? Die früher übliche Herleitung aus dem jüngeren Neuplatonismus ist zeitlich unmöglich, ihr Ursprung aus der Philosophie unwahrscheinlich. Daß eine Reihe von Vorstellungen sich uns als ägyptisch erwiesen, wird bei dem Ursprung dieser Schriften niemanden befremdet haben; aber daneben wies uns die Idee des Kampfes zweier göttlichen Wesen und Prinzipien auf Persien, und auch jüdische Einflüsse sind nicht zu bestreiten. Allein all solehe Einzelbeobachtungen haben im Grunde hier wie sonst wenig Wert; nicht woher diese Vorstellungen in letzter Linie stammen, sondern in welcher Weise sie sich verbanden, wie die Lehre erwuchs, gilt es vor allem zu untersuchen. Daß wir so weit vordringen können, danken wir der glänzenden Entdeckung eines jungen amerikanischen Ägyptologen, J. H. Breasted, der eine seltsamerweise nicht einmal vollkommen unbekannte ägyptische Inschrift des Britischen Museums zum erstenmal richtig gelesen und feinsinnig interpretiert hat. Auf seinen Aufsatz?) machte mich mein

1) Den Zusammenhang mit dem Gnostizismus erkannte auch Zeller, der ihn freilich mit Unreeht auf die beiden Poimandres-Schriften I und XII (XIV) beschränken wollte; er geht stärker oder schwächer durch das ganze Corpus. 2) Zeitschr. f. äg. Sprache 1901 8. 39 ff. Breasteds Übersetzung war Prof. Spiegelberg so gütig, für mich noch einmal durchzusehen und in ein paar