Poimandres : Studien zur griechisch-ägyptischen und frühchristlichen Literatur

60 III. Grundvorstellungen des Poimandres.

Freund und Kollege, Prof. Spiegelberg, zu einer Zeit aufmerksam, als ich Alter und Hauptinhalt des Poimandres schon in der oben ausgeführten Art für mich bestimmt hatte. So war es leicht, die nahen Beziehungen zwischen der Inschrift und dem griechischen Text zu erkennen.

Der Stein zeigt die Schrift etwa des VIII. Jahrhunderts v. Chr., aber er gibt seinen Inhalt als Wiederholung eines älteren und auf schlechteres Material geschriebenen Textes aus dem Tempel des Ptah zu Memphis.‘) Den Hauptinhalt bildet die Osiris-Legende. In sie ist eine Lehre vom Gotte Ptah eingelegt, der, ursprünglich ein Gott der Handwerker und daher dem griechischen Hephaistos gleichgesetzt, sehr früh schon mit den alten Himmels- und Lichtgöttern verbunden und darum als Spender alles Lebens gefaßt war. Auch in unserm Text wird er zunächst in echt ägyptischer Weise mit dem Urgott Atum in Verbindung gebracht. Atum emaniert aus sich acht Gottheiten (den Götterkreis, die ’Oydodc). Jede von ihnen ist Ptah mit einem andern Beiwort; an die vierte, genannt „Ptah der Große“, knüpft sich ein theologisches System, in welchem die vorausstehende Einkleidung zwar nicht vollkommen ignoriert wird, aber doch nur schwach mit einwirkt. Doch bevor ich zu seiner Erklärung übergehe, sei es gestattet, ein Gebet an Ptah aus der Zeit Ramses’ II.

Einzelheiten zu berichtigen. Nachdem dieser Teil des Buches abgeschlossen war, erschien Masperos Aufsatz: Sur la toute-puissance de la parole (Reeueil de travaux relatifs ü la philologie et a l’archeologie egyptiennes et assyrienmes XXIV 168). Er gab mir zu meiner Freude in der Grundauffassung und Kritik Breasteds nur volle Bestätigung. Einzelheiten der Übersetzung sind hierauf nochmals von Prof. Spiegelberg durchgeprüft. Die Abweichungen von Maspero beruhen in letzter Linie darauf, daß er dem Dogma von der Schöpfung durch das Wort, das er so glücklich in der ägyptischen Religion entdeckt und so glänzend zur Darstellung gebracht hat, eine m. E. für unsere Inschrift allzugroße Bedeutung beimißt.

1) Ganz ähnlich bezeichnet sich z. B. das zweite Loblied des Königs Darius in dem Tempel der Oase zu EI Khargeh (Brugsch, Reise nach der großen Oase E. K. S. 48) als „die geheimnisvollen Sprüche des Amon, welche sich auf den Tafeln vom Holze des Maulbeerbaumes befinden“, d.h. als alter Aöyoc dmökpupoc des Gottes. Daß es sich bei der Inschrift von London nicht um literarische Fiktion, sondern um eine wirkliche Tatsache handelt, glaubt Breasted aus den sprachlichen Formen schließen zu dürfen; er setzt das Original etwa acht Jahrhunderte vor die Wiederholung. Die Frage ist für unsere Zwecke unwichtig.

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