Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 1.
200 Die ſchwarzen Kabinette.
ein Abdru> des Siegels genommen und der geöffnete Brief danu mit demſelben verſiegelt. Nicht nux Frankreich, ſondern ganz Europa, ſoweit es mit Frankreich torreſpon= dirte, unterlag dieſem Spionirſyſtem, das alle Geheimniſſe durhforſchte, alle Komplotte und diplomatiſchen Jntriguen in Erfahrung brachte und fo der Regierung die Möglichz feit bot, in jedem Falle, wo es ihr geboten ſchien, ihre Gegenmaßregeln zu ergreifen. Wie ſ{honungslos und twill= fürlich dieſe häufig ausfielen, wie viel Unſchuldige dabei in's Elend mit hinabgeriſſen wurden, das iſt genugſam be= fannt. Man darf hiebei nux an die beliebten oder viel= mehr berüchtigten „Lettres de cachet“, d. h. an jene föniglichen Verhaftsbefehle erinnern, dur< welche mißliebige Perſonen aus der Hauptſtadt oder dem Lande verwieſen, auch ohne Urtheil und Recht in die Baſtille oder ein anderes Staatsgefängniß gebracht wurden. Man weiß, in welchem Umfang von dieſem furchtbaren Gewaltmittel Gebrau< gemacht wurde. Der „Lieutenant général“ der Polizei be= ſaß gewöhnlich im Voraus gefertigte „Lettres de cachet“, in welche er nux den Namen des zu Verhaftenden einzu= tragen brauchte, Wehe dem, der in einem dem „Cabinet noir“ befannt gewordenen Briefe kompromittirt wurde! Unter Umſtänden ſah er die Freiheit nie wieder. Auch unter Ludwig XV. ſtand das ſchwarze Kabinet in FLor. Neben dem Zwe> der Entde>kung politiſcher Umtriebe, war es dieſem Monarchen hiebei beſonders um die Beſfriedi= gung ſeiner Neugier in Privatangelegenheiten zu thun. Er hatte ein außerordentliches Vergnügen daran, hinter die feinen Geheimniſſe feiner Hofleute zu kommen. Jeden