Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2
Tamandua: Gehen. Klettern. Verteidigung. 665
Vis jeßt haben wir noh wenig über das Leben dieſes merkwürdigen Geſchöpfes erfahren können. Fn Paraguay und Braſilien lebt die Tamandua überall in den einſamen, bewaldeten Gegenden, gern am Saume der Wälder und in Gebüſchen, manchmal nahe an den Wohnungen der Menſchen. Sie hält ſi< niht bloß auf dem Boden auf, ſondern beſteigt ebenſo geſchi>t die Bäume, obgleich dies, wie bei den Faultieren, ziemlih langſam vor ſi geht; dabei verſichert ſie ſi, wie die e<ten Wielſchwänzler, ſorgfältig mit dem Schwanze, au< im Sißen. Jhxr Gang iſt zwar etwas ſchneller als der des Yurumi, aber doh immer noch ſehr langſam, wie ſie überhaupt als träges, ſtumpfſinniges Tier gelten muß. Um zu \<lafen, legt ſie ſi< auf den Bauch, befeſtigt ſih mit dem Schwanze, legt den Kopf mit der Schnauze gegen die Bruſt und de>t ihn ganz mit ihren beiden vorderen Armen zu. Jhre Nahrung beſteht, wie die des Yurumi, vorzugs8weiſe aus Ameiſen, und zwar hauptſählih aus ſolchen, welche auf Bäumen leben. Der Prinz von Wied fand in ihrem Magen nur Termiten, Ameiſen und deren Puppen, glaubt aber, daß ſie vielleicht auh Honig freſſe. Verſchlu>te Erde und Holzſtü>kchen findet man ebenfalls unter der von ihr aufgenommenen Nahrung. Eine Stimme hört man ſelten oder nie von ihr. Das Weibchen ſoll im Frühjahre ein Junges werfen und dieſes lange auf dem Nücken mit ſi<h umhertragen.
Eine Ergänzung des Vorhergehenden verdanken wir Henſel. „Viel häufiger als der große Ameiſenbär iſt die Tamanduaz; doch habe ih ſie nur am Saume des Urwaldes gefunden. Im Juneren iſt ſie mir niht vorgekommen, und ebenſowenig habe ich ſie auf den freien Campos fern von den Wäldern angetroffen. Mehrere der von mir geſammelten Stücke ſind von hohen Bäumen herabgeſchoſſen worden. Vor einem Feinde ſucht ſih dieſer Ameiſenbär ſtets zurüczuziehen, wenn auh ohne beſondere Eile. Wird ex von einem Menſchen oder Hunde eingeholt, ſo richtet er ſi<h auf ſeinen Hinterbeinen auf, wie ein Bär thut, und erwartet muxmelnd den Gegner; allein er umarmt ihn niemals. Seine Hand beſitzt außer den großen, gebogenen und ſpizen Krallen no< einen ſehr entwi>elten hornharten Ballen: mit jenen Krallen nun ergreift er blißſchnell den Gegner, indem ex ihn zugleich gegen den Ballen drückt. Jh habe geſehen, wie ein noh niht einmal erwa<hſener Tamandua zwei große Hunde wehrlos machte, indem er den einen an der Naſe, den anderen an der Oberlippe gepackt hatte und ſie ſo, zwiſchen beiden aufrecht ſtehend, mit ausgebreiteten Armen von ſih abhielt. Jn einem ſolchen Falle pflegt der Jäger dem tapferen Tiere, um es zum Loslaſſen zu bewegen, die Sehnen am Handgelenke zu dur<ſhneiden. Die unſinnige Mordluſt der Braſilier richtet ſich auch gegen dieſes harmloſe und nüßliche Tier. Es iſt dem Braſilier durhaus unmöglih, wenn ex einer Tamandua anſichtig wird, niht von ſeinem Pferde abzuſteigen, jener den Kopf mit ſeinem großen Meſſer zu ſpalten und den Leichnam den Aasgeiern zum Fraße liegen zu laſſen. Er thut es ſchon, um die Wucht und Schärfe ſeines Meſſers zu erproben.“
Auch die Tamandua iſt in der Neuzeit einige Male nah Europa, und zwar nah London gebracht worden. Dem erſten Stücke ſtellte Bartlett ſein Zimmer zur Verfügung, um die Bewegungen des Tieres zu beobachten. Mit den mächtigen hakenförmigen Klauen und mit Hilfe des Greiſſhwanzes kletterte es raſch auf die verſchiedenen Gegenſtände des Hausrates und ſprang, indem es zutrauliher wurde, von hier aus zuleßt auf Bartletts Schultern, die ſpißige Schnauze und die lange, wurmförmige Zunge in alle Falten der Kleidung ſeines Pflegers ſte>end und deſſen Ohren, Naſe und Augen in niht eben angenehmer Weiſe unterſuhend. Nahte ſih ſpäter ein Beſucher, ſo kam der Ameiſenfreſſer raſh an die Vorderſeite des Käfigs und ließ ſeine forſchende Zunge flüchtig über die an die Stangen des Käfigs gehaltene Hand gleiten; doh mußte man ſich hüten, ſeine Finger von den Klauen faſſen zu laſſen. Die Nahrung, welche man reichte, beſtand aus Milch, in welcher ſüßer Zwieback eingeweiht war, und klein geha>tem Fleiſche. Dabei befand ſi< das Tier wohl und munter.