Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3
Pferd: Geſchichtlihes. Abſtammungsfrage. 39
Als urſprüngliches Verbreitungsgebiet der Pferde, deren Reſten wir zuerſt in den Schichten der Tertiärzeit begegnen, hat man den größten Teil der nördlichen Erdhalbkugel anzuſehen. Jn Europa ſcheinen die wilden Pferde vor no< nicht allzulanger Zeit ausgeſtorben zu ſein: ſie fanden ſih, wie aus den von V. Hehn zuſammengeſtellten Nachrichten hervorgeht, ſelbſt in den weſtlihen Teilen, z. B. in den Vogeſen, noc im 16. Fahrhundert; in Aſien und Afrika ſchweifen ſie no< heutigestags herdenweiſe dur<h hochgelegene Stepyen und Gebirge. Jn Amerika, wo ſie ausgeſtorben waren, ſind ſie wieder verwildert; auh Auſtralien beſißt ſchon verwilderte Pferde. Gras, Kräuter und andere Pflanzenſtoffe überhaupt dienen ihnen zur Nahrung; în der Gefangenſchaft haben ſie gelernt, ſelbſt tieriſche Stoffe: Fleiſch, Fiſche, Heuſchre>en, zu genießen.
Alle Pferde ſind lebendige, muntere, bewegliche, kluge Tiere, ihre Bewegungen anmutig und ſtolz. Der gewöhnliche Gang der freilebenden Arten iſt ein ziemlih ſcharfer Trab, ihr Lauf ein verhältnismäßig leichter Galopp. Friedlich und gutmütig gegen andere Tiere, welche ihnen nichts zuleide thun, weichen ſie den Menſchen und den größeren Raubtieren mit ängſtliher Scheu aus, verteidigen ſih aber im Notfalle dur<h Schlagen und Beißen mutig gegen ihre Feinde. Jhre Vermehrung iſt gering. Die Stute wirft nah langer Tragezeit ein einziges Junges.
Mindeſtens zwei, wahrſcheinlicher drei Arten der Familie find von dem Menſchen unterjo<ht worden. Keine Geſchichte, keine Sage erzählt uns von der Zeit, in welcher ſie zuerſt zu Haustieren gewonnen wurden; nicht einmal über den Erdteil, in welchem man die erſten Pferde zähmte, iſt man im reinen. Vor allen anderen glaubte man mittelaſiatiſchen Völ: fern den Erwerb des Pferdes danken zu dürfen; Nehring iſt jedo<h nah Vergleihung diluvialer Pferdereſte mit entſprechenden Knochenteilen unſeres Pferdes zu dem Schluſſe getommen, daß auch die Yalbwilden ehemaligen Bewohner Mitteleuropas das Pferd zum Haustiere gemacht haben. Es fehlt uns indeſſen jeder ſichere Anhalt über die Zeiten und die Völker, auf welche wir zunächſt unſere Bli>e rihten könnten.
„Auf den altägyptiſchen Denkmälern“, ſo teilt mein gelehrter Freund Dümichen mir mit, „begegnen uns Abbildungen von Pferden nicht vor den Zeiten des neuen Reiches, alfo niht vor dem 18. oder 17. Jahrhunderte vor unſerer Zeitrechnung. Erſt nah der Befreiung vom fremdländiſchen Joche der aſiatiſchen Hykſos, welche nahezu ein halbes Jahrtauſend über Ägypten geherrſcht hatten, mit Beginn des neuen Reiches alſo, berichten uns bildliche Darſtellungen und Jnſchriften über den Gebrauch des Pferdes bei den alten Bewohnern des Nilthales. J<h glaube jedo< keineswegs, daß wir dur dieſes Schweigen der älteren Denkmäler, oder vielleicht richtiger geſagt, daß wir deshalb, weil bis jet noch kein Denkmal der früheren Zeit aufgefunden worden, welches von dem Vorhandenſein des Pferdes und dem Gebrauche desſelben Meldung thut, nun ſchon zu dem Schluſſe berechtigt wären, das Pferd ſei im alten Ägypten vor dem 18. Fahrhunderte unbekannt geweſen. Für die von Ebers auſgeſtellte Behauptung: „Es unterliegt feinem Zweifel, daß dieſes Tier von den Hykſos in Ägypten eingeführt worden iſt“, fehlt jeder Beweis. Jn Bezug hierauf teile ih vollſtändig die von Chabas ausgeſprochene Anſicht, daß alle auf uns gekommenen Zeugniſſe ſchließen laſſen, jene Barbaren hätten weder Wagen noch Pferde beſeſſen, und daß demgemäß die alten Ägypter das Pferd ſchon lange vor der Herrſchaft beſagter Barbaren gefannt haben müſſen, da die Zähmung und Anſchirrung des Roſſes eine längere Anweſenheit desſelben im Pharaonenlande vorausſeßt. Man bediente ſih hier vom 17. Fahrhunderte an des Pferdes vorzugsweiſe zu Kriegszwe>en. Die Heerzüge der Ägypter des neuen Reiches gewinnen ein gänzlih verändertes Ausſehen. Während wir auf den Denkmälern des alten Reiches nux ſchwer und leicht bewaffnete Fußtruppen dargeſtellt finden, nehmen nunmehr im ägyptiſchen Heere die mit Noſſen beſpannten Streitwagen den hervorragendſten