Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

66 Zehnte Ordnung: Unpaarzeher; erſte Familie: Pferde.

Pallas berichtet von einer Kulanſtute, welche nah Petersburg gebracht wurde, vorher aber ſehr ſ<hle<t abgewartet worden war. Hier kam ſie freilih höchſt mager und ſo elend an, daß ſie ſi< kaum auf den Füßen erhalten konnte; aber ſie gelangte bald wieder zu Kräften, und als ſie gegen den Herbſt hin ſtarb, war nicht jene Erſchöpfung die Urſache, ſondern die Kälte, die Näſſe des Klimas, des Bodens und der Weide, und endlich die Mittel, welche man anwandte, um eine auf ihrer Haut ausgebrohene böſe Räude zu vertreiben.

Einen anderweitigen Bericht verdanken wir Hay, welcher einen Kulan in Kleintibet erhielt und na< England brachte. Das Tier war in einer Grube gefangen und an eine weiße Stute gewöhnt worden. Dieſe wurde von einem tibetiſhen Lama zurübehalten, Hay kaufte deshalb einen Mauleſel zu dem Zwe>e, dem Kulane Geſellſchaft zu leiſten. Letterer vertrug ſih jedo< niht mit dem Gefährten, und dieſer genoß alles andere, nur niht ein glü>liches Leben. Gleichwohl folgte ihm der Kulan nach, war überhaupt erſt zufriedengeſtellt, wenn ex ein Pferd, zumal ein weißes, zur Geſellſchaft hatte. Unterwegs befundete er ſtets die größte Abneigung, eine Brücke zu überſchreiten, und wenn ſein tieriſcher Gefährte ſolches that, pflegte er zu warten, bis dieſer das andere Ufer erreicht hatte, warf ſi< dann furchtlos ſelbſt in den reißendſten Strom und kreuzte ihn in faſt gerader Linie. Der Setled\< war während des Marſches ſo voll und reißend, daß Hay es für ratſam hielt, den Kulan auf einem Floſſe überzuſezen. Dies konnte aber nur mit größter Schwierigkeit geſchehen. Fn Simla gewöhnte ſih der Kulan nah und nach an den ihm anfänglich fremden Anbli> der Leute. Er befand ſih hier während der ganzen Regenzeit ſehr wohl, und als er ſpäter die Ebenen erreichte, zeigte er ſi< munterer und übermütiger als je, fo daß vier Männer notwendig waren, um ihn zu halten und zu leiten. Nicht ſelten entrann er ſeinen Pflegern, ließ ſi< aber immer ziemlih leicht wieder fangen. Den lebten Teil des Weges nach der Küſte ſollte ex in einem Boote zurü>legen, welches ausdrü>li< für ihn vorbereitet war. Der hohle Laut unter ſeinen Füßen ſebte ihn ſo in Schre>en, daß er ohne weiteres aus dem Boote ſprang, Zaum und alle übrigen Feſſeln mit ſi< nehmend. Erſt nahdem der Boden des Fahrzeuges mit Raſen belegt worden war, ließ er ſih hier feſthalten.

Auf der Seereiſe nah England hatte der Kulan mancherlei auszuſtehen. Schon der Weg vom Lande nach dem Bord des Schiffes war ſehr ſhwierig; denn das arme Tier fürchtete ſi wegen des hohen Seeganges im Boote, und Hay war froh, als er es endlich glüd>lih an Bord und in dem hergerichteten Stalle hatte. Obgleich für die Überfahrt eine ziemliche Menge von Heu, Stroh, tro>ene Luzerne und Körnerfutter mitgenommen worden war, fand ſich bald, daß die Nahrungsmittel nicht ret reichen wollten. Die Körner waren wurn?fräßig, und der Kulan weigerte ſih deshalb lange Zeit, ſie zu berühren. Außerdem gingen die Matroſen ſo una<htſam mit dem Heu und Stroh um, daß der Kulan zweimal auf das Stroh, welches in den Matrazen des Schiffsvolkes ſih gefunden hatte, angewieſen war. Halb verdorbenes Waſſer, wie es gereiht wurde, wollte er ebenfalls nit trinken; ehe jedo St. Helena erreicht wurde, hatte er ſih an alles gewöhnt und fraß oder trank, was man ihm gab. Jn ſeinem Hauſe richtete er ſich bald und mit großem Geſchi> ein und hielt ſich ſo trefflih im Gleichgewichte, daß er nur bei ſehr ungünſtigem Wetter in die Schwebe gehängt zu werden brauchte. Während eines Sturmes arbeitete er mit allen Kräften, um ſich aufrecht zu erhalten, ſchien auch dankbar für jede Beihilfe zu ſein. Nach und nah wurde er überaus zahm und lernte Hay zuleßt ſhon an der Stimme erkennen. Beim Kreuzen der Linie litt ex 3 oder 4 Tage ſehr unter der Hive, wurde auh krank davon, genas aber wieder und bekundete nun auf der ganzen Reiſe kein weiteres Zeichen von Krankheit, ent: wi>elte vielmehr eine außerordentliche Freßluſt und vevbrauchte in vier Monaten Jo viel, wie man für ſehs berehnet hatte. Hay fand den Kulan ſtets außerordentlih empfänglich für freundliche Behandlung. Dankbar nahm er ihm gereichte Le>erbiſſen entgegen und drü>te