Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 6, str. 636
578 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeitiere; zweite Klaſſe: Blumenpolypen.
Anlage der Fühler eine ungleihmäßige war, oder daß nah regelmäßigem Beginne des Wachstums gewiſſe Antimeren nebſt den zugehörigen Fühlern zurückbleiben oder den übrigen voxauseilen. Das betrifft vorzugsweiſe die Polypen mit zahlreichen und in mehreren Kreiſen die Mundöffnung umgebenden Fühlern.
So bekannt nun auch ſeit einigen Jahrzehnten, beſonders durch die Aquarien, diejenigen Polypen geworden ſind, welche gleih der Monoxenia feine harten Teile abſondern, nämlich die Aktinien, ſo werden doh die meiſten Leſer mit dem Worte Polyp oder Korallentier die Vorſtellung des entweder dem Einzeltier oder der Kolonie angehörigen Stockes verbinden. Wir haben daher das Verhältnis dieſes Skelettes zu den Weichtieren im allgemeinen zu beſprehen, um uns bei der ſyſtematiſchen Überſicht darauf berufen zu fönnen, und wix werden, um uns dies Verhältnis klar zu machen, in derſelben Weiſe verfahren wie oben (S. 292), wo es ſi< um die Erklärung des Schne>engehäuſes handelte. Vergleichen wir alſo den Polypenſto> mit dem Schne>engehäuſe und dem Skelett der Wirbeltiere. Wix wiſſen ſchon, daß alle Verhärtungen oder Skelettbildungen des Polypenförpers dem mittleren Blatte angehören, und ſchon damit iſt ein wichtiger Unterſchied zwiſchen dem Polypenſto> und der Muſchelſchale oder dem Schne>enhauſe gegeben. Die Schne>enſchale iſ eine Ausſcheidung, welche den ſonſt weichen Körper zwar umhüllt, mit ihm aber nux in einem ſehr beſchränkten Zuſammenhange ſteht und nicht eigentlich zu den lebendigen, d. h. organiſierten, mit Blut und Nerven verſehenen Teilen des Tieres gehört. Es iſt in der That nur ein zum Schuße dienendes Haus, welches über der Haut liegt. Die feſten Teile der Polypen bilden aber kein Haus in dieſem Sinne, ſondern ſind ganz eigentliche Teile des Korallentieres, ſie ſind wie die Knochen belebt, empfindlich, organiſiert. Die Knochen der höheren Tiere hält niemand für bloße Ausſcheidungen, die damit einen gewiſſen Gegenſaßz zum übrigen Körper bildeten. Man weiß vielmehr allgemein, daß die Knochen ſehr empfindliche organiſche Beſtandteile des Körpers ſind, daß in ihnen Adern und Nerven verlaufen. Ein Hauptkennzeichen, daß ſie gleih den Muskeln oder Nerven nur eine beſondere Gattung von ſogenanntem Körpergewebe ſind, beſteht darin, daß ſie gerade ſo wie jene wa<hſen. Die Knochen des Ochſen ſind nicht dieſelben wie die des Kalbes, ihr Stoff iſt wiederholt ausgewe<hſelt worden. Das Lebendigſein des Skelettes iſt der „Stoffwechſel“, während das Schhne>enhaus eine tote Abſonderung bleibt, an der nur alljährlih neues Material auf- und abgelagert wird. Da# Wort „Stoffz wehſel““ iſt uns ein bekannter Klang. Jedes einzelne Organ befindet ſi< wohl, wenn in ihm der StoffweWhſel in Nichtigkeit iſt; Krankheit iſt in den meiſten Fällen geſtörter Stoff we<ſel, Wenn wir daher ſagen, daß die untere Hälfte des Korallentieres, au< wenn ſie erhärtet oder zum Stoke wird, dennoch vollſtändig am Stoffwechſel teilnimmt, ſo iſt damit die Natur dieſer Bildung bezeihnet. Solange das Korallentier lebt, iſt ſein Sto> keine tote Ausſcheidung, kein Haus, in welches es ſich, gleih der Schne>e, zurückzieht. Es iſt vollkommen falſ<h, zu meinen, der Polyp bewohnte ſeinen Sto> oder ſeine gekammerte Zelle; dagegen kann ih ſagen: der untere Teil des Korallentieres iſt das Etui, in welches der obere Teil ſi< einzuſtülpen vermag. Am lebenden Korallentiere iſt alſo auh der Sto> in fortwährender Auflöſung und Wiederergänzung begriffen, und der Sto eines erwachſenen Polypen verhält ſich zu dem ſeiner Jünglingsjahre wie das Skelett des Ochſen zu dem des Kalbes.
Dennoch kommen wir bei dieſem Vergleiche zu einem Punkte, wo er niht mehr paßt. Sehr häufig, indem der Polyp nah oben hin wächſt, ſtirbt ſein verkalkter Fuß ab, ohne ſih aufzulöſen. Dex Polyp haftet alsdann auf ſeiner Vergangenheit, ſie iſt ſein Piedeſtal; er zieht ſih gleihſam aus ſi< ſelbſt in die Höhe und gipfelt auf den SchlaXen ſeiner Jugend. Dabei iſt er in der Regel im ſtande, ſo mit der Vergangenheit abzuſchließen,