Giorgiones Geheimnis : ein kunstgeschichtlicher Beitrag zur Mystik der Renaissance

und Temperamente bei den drei Männern. Alle Deutungen, die diesen Umstand vell auswerteten, konnten nicht ganz fehl gehen, klingt doch überdies die symbolische Zusammenstellung solcher Altersstufen wie ein Leitmotiv auch durch die anderen Bilder Giorgiones und seiner Nahahmer. Aber eine Erklärung wie „die drei Lebensalter” reicht nicht zu, da sie die in den Attributen, Kostümen und Beschäftigungen der Männer gegebenen Winke nicht mit zu würdigen versucht. Warum ist eine der drei Gestalten als Morgenländer gekennzeichnet, warum tragen Jugend und Alter Zirkel, Winkelmaß und Buch, warum die auffällige Beziehung zur Höhle? Hinsichtlich der „Drei Weltalter” im Sinne von Janitscheks reichlich philosophischer Deutung ließe sich der mittlere Orientale zur Not für die Wissenschaft des Mittelalters,'?) der greise Hierophant nicht übel für die alte Priesterweisheit des Altertums in Anspruch nehmen, dann aber müßte der Jüngling — angeblich als das junge empirische Zeitalter der Renaissance - folgerichtig auch in Renaissancetracht erscheinen! Lebensalter und geistige Weltalter — beide sinnbildliche Beziehungen mögen, was mit der Mehrdeutigkeit vieler Symbole'?) im Unterbewußtsein begründet sein kann, hier mitklingen. Zureichend sind beide Erklärungen nicht, aber vielleicht lassen sie sich zum Teil in eine Deutung einbeziehen, die das Ganze der gegebenen Merkmale zu berücksichtigen versucht.

Als erstes auffallendstes Kennzeichen wollen beachtet sein die sehr deutlih und greifbar vom Künstler gegebenen Attribute in der Hand der zwei Männer. Zirkel und Winkelmaß bei dem jüngsten deuten natürlich nicht auf nüchternes Feldmessen hin, denn der Jüngling schaut nicht über ein meßbares Gelände, sondern er hat einen ausgehöhlten Felsen unmittelbar vor sich, wo mit Winkelmaß und Zirkel messend kaum etwas auszurichten ist. Vielmehr haben wir es hier offensichtlih mit symbolischen Attributen zu tun, wie sie für historische und allegorische Vertreter nicht nur der Mathematik und Astronomie sondern vor allem der Geheimwissenschaften (Astrologie, Alchemie, Magie etc.) verbreitet sind und wie sie uns nicht selten gerade in venezianischen Holzschnitten des 15. und I. Jahrhunderts begegnen.) Noch einmal erscheint der Zirkel in der Hand des

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