Giorgiones Geheimnis : ein kunstgeschichtlicher Beitrag zur Mystik der Renaissance

dann die arabischen Philosophen, Avicenna und vor allem der vielgenannte Geber, endlich aus jüngerer Zeit Raimundus Lullus, der Erfinder der „Lullischen Kunst”, und seine zu lullishen Geheimgesellschaften verbundenen Schüler. Auch Nicolas Flamel kommt in Betracht, der im 14. Jahrhundert hieroglyphische Figuren sammelte, alchemistische Lehrzeichen, die man angeblich unter dem vierten Schwibbogen des Kirchhofes der unschuldigen Kinder zu Paris lesen konnte. Lacroix!?) spricht von einer internationalen „association secr&te” am Einde des 15. Jahrhunderts, die den Titel „Voarchodumia” hatte und alchemistishe Zwecke verfolgte. Einem ähnlichen Geheimbund dieser Art trat im Jahre 1506 Agrippa von Nettesheim in Paris bei. Auch der Alchemist Dionysius Zacharius fand in Paris um I5IO eine Gesellschaft von IOO „Künstlern”, die gemeinsam an der Bereitung des „Steins” arbeiteten. Die Verbreitung solcher Bünde über Italien, Deutschland, England und Spanien gilt als bezeugt. Agrippa hat mit seinen Bundesbrüdern an den verschiedensten Orten Europas abenteuerliche Zusammenkünfte gepflogen und oft hören wir in seinem Kreise die Mahnung, es „niemand, nur dem Weisen” zu sagen, also wie es Trithemius ausdrücte, „Ochsen nur Heu, nicht Zu&ker wie für die Singvögel zu geben”. Gewisse Einblicke in die innere Beschaffenheit der Bünde erlaubt uns der von Keller mitgeteilte Brief des Arztes Landolfus an Agrippa aus Lyon. Eine Stelle daraus lautet: „Der, welcher Dir diesen meinen Brief überbringt, ... ... ist ein eifrig Suchender (rerum arcanarum curiosus indagator) geheimer Dinge und ein freier Mann (homo liber) —... Ih würde wünschen, daß du den Mann ernsthaft prüfst und daß er dir die Ziele seines Strebens mitteilt. Denn er ist nach meiner Ansicht nicht weit vom Ziel (a scopo)........ Also eile von Norden nach Süden beflügelt von den Flügeln Merkurs, ergreife bitte das Szepter des obersten Gewalthabers (Jovis sceptra) und nimm jenen in unsere Gesellschaft auf, falls er das Gelübde auf unsere Gesetze ablegen will (si in nostra velit jurare capitula, nostro sodalicio adscitum face). Unsere übrigen Kampfgenossen (ceteri commilitones nostri) erwarten deine Ankunft. Darum übergib deine Segel froh den Winden und eile zum Hafen (portum) unseres

gemeinsamen Glückes.”

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