Giorgiones Geheimnis : ein kunstgeschichtlicher Beitrag zur Mystik der Renaissance
antiken Orden war wohl wirklich nicht die Rede. Aber die fast göttliche Verehrung, die im Florentiner Kreise Plato genoß, das Vorbild, welches die Akademie Platos mindestens grundsätzlich abgab, muß doch bewirkt haben, daß sich die Mitglieder als eine durch höheres Wissen geeinte und gegen die Außenwelt abgeschlossene Gemeinde empfanden. Daß die Zusammenkünfte der „platonischen Familie“ vom Schleier einer esoterischen Mystik umschwebt waren, betont auch Joel ?°):
„Es ist, als ob man aus den Domen die Stimmung träumerischer Religiosität mit hinübergenommen hätte und als ob aus der Mitte der Vereinigung Weihrauhwölkcen aufstiegen zur Büste Platons, welche Lorenzo damals von Roscio von Pistoja erhalten hatte. Auch in dem Studierzimmer Ficins soll eine Platobüste gestanden und vor dieser eine ewige Lampe wie vor dem Bilde eines legitimen Heiligen gebrannt haben.
Den Humanisten war ein starker Zug zur Romantik und zu weltfremder Vertiefung des Innenlebens eigen. In ihren Reihen begegnet man ausgesprochenen Schwärmernaturen, Menschen von tiefer, grüblerischer Lebensstimmung, die so gar nicht zu dem landläufigen Bilde, das man sich vom Wesen dieser Generation zu entwerfen pflegt, stimmen will.” —
Zweierlei Ideenkomplexe im mystish-theosophischen Denken der Florentiner Platoniker sind besonders für ihr Gemeinschaftsgefühl bezeichnend — und bei dem engen Zusammenhang der verschiedenen Akademien der Frührenaissance dürfen wir sie auch in anderen Orten als herrschend voraussetzen. Der eine ist astrologischer Natur und bezieht sich auf die Herrschaft des Planeten Saturn über die Mitglieder°®). In dem Werke des Marsilius Ficinus „de vita triplici” (I494) ist die humanistische Lehre von dem psychischen Einfluß Saturns — im Gegensatz zu der populären Auffassung von den „Saturnkindern” — zuerst ausführlih behandelt worden und es scheint, daß sie in der ganzen philosophischen Welt des Abendlandes mit ähnlichem Eifer diskutiert worden ist, wie heutzutage etwa die Freudsche Psychoanalyse die Geister beschäftigt. Saturn ist nicht immer nur der Unglücksbringer mit den obligaten Neigungen, wie sie die Kalenderbücher schildern: die Melancholie, welche er edleren Geistern bringt, ist viel-
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