Giorgiones Geheimnis : ein kunstgeschichtlicher Beitrag zur Mystik der Renaissance

man noch heute bei gutem Licht eine Reihe von überlebensgroßen Kostümfiguren. Sie befinden sich an der Seitenfront. Nach einer späteren Quelle handelt es sih hier um „Calzabrüder”, Mitglieder einer Gesellschaft, die den Strumpf als Abzeichen führte unddiesichbei Maskeraden ausgezeichnethaben soll. Wahrscheinlich ist, daß der junge Tizian, Giorgiones Freund, für diese Malereien in Betracht kommt, unsicher bleibt dagegen, was es für eine wirkliche Bewandtnis mit dieser Brüderschaft gehabt hat. Handelte es sich um eine einfache Karnevalsgesellschaft oder um eine Sodalität von der Art der Maurerkelle, in der Rituelles und Geheimes mindestens nachgeklungen hat? Haben wir es hier etwa mit der Gesellschaft zu tun, welcher Giorgione selber angehörte? Wir neigen dazu, für diesen Meister die Gemeinschaft an einem strengeren, ursprünglicheren Ordensbund vorauszusetzen, in dessen Arbeiten er gewiß einen höheren und ernsteren Grad erreicht hatte. Auch in Treviso, der Heimat berühmter Alchemisten jener Zeit, in Asolo am Hofe der Exkönigin von Cypern (dem alten Sitze des Johanniterordens) darf man geschlossene Zirkel voraussetzen, denen der Künstler aus Castelfranco angehört haben könnte. Was wir von Bembo wissen, mit seinen ausgesprochen neuplatonistischen, auch okkultistischen Neigungen, kann ohne Zwang in diesem Sinne ausgelegt werden. Der Ruf von Giorgiones Teilnahme an gewissen „ragunate e onoranze” vornehmer Personen”) ist bis zu Vasari gedrungen, der sich im übrigen über Giorgiones Leben auffallend wenig unterrichtet zeigt. Er und Ridolfi rühmen nur, daß Giorgione den Galantuomo betonte und vor allem, daß er ein Meister des Gesanges, des Flöten- und Lautenspiels gewesen sei, und seine Annahme, daß sich Giorgione als eine Art Iyrischer Troubadour „beständig den Dingen der Liebe gewidmet” habe, lag schon auf Grund gewisser Bildmotive nicht fern. Wir betonten bereits, daß ein „platonisch” gemeinter Dienst des Eros, vielleicht auch ein naturhaft idyllischer Minnedienst zu den Geheimnissen der „Eingeweihten” mancher kultisch ästhetischen Bünde gehört haben mag. Haben auch gelehrt-galanteFrauen zu den „Adherenti” gezählt? Ausspäteren Jahrzehnten des geschlossenen Gesellschaftswesens im 16. Jahrhundert wird uns manches über allerlei Ausartungen des Eroskultes gemeldet, dem ja

37