Giorgiones Geheimnis : ein kunstgeschichtlicher Beitrag zur Mystik der Renaissance

I.

„Zorzon” aber war der Maler jener „Drei Philosophen”, zu deren Geheimnis wir nun noc einmal, mit mehr Wissen ausgerüstet, zurückkehren. Noc was in heutigen Orden an alten Riten und Sinnbildern erhalten ist, schien uns wie ein Schlüssel zu den Rätseln dieses Kunstwerks. Nachdem wir etwas von dem historischen „Logenwesen” zur Zeit des Giorgione erfahren haben, („Loge” natürlich nur vergleichsweise und „cum grano” gemeint) wollen wir das Kunstwerk noch einmal befragen.

Erinnern wir uns zunächst daran, daß die Renaissance und Barockzeit den Ausdruck „Philosoph” mit Vorliebe auch für die Vertreter der alchemistisch-hermetischen Geheimwissenschaften anwandte (nicht freilich für die Astrologen, die als „Astrologi” einen festen Begriff bildeten !). Noch im 17. Jahrhundert war die Bezeichnung so üblich, und die adjektivistische Anwenwendung als „philosophischer Stein”, „philosophischer Schwefel” sehr beliebt bei Hermetikern und Rosenkreuzern. Wenn also Michiel, der den Giorgione noch gekannt haben muß, nicht sehr lange nach Giorgiones Tode angesichts der drei Männer mit ihren Zirkeln, Winkelmaßen und kabbalistischen Zeichen von drei „Philosophen” sprach, so mag eine solche Bedeutung bei ihm bewußt oder unbewußt mitgeklungen haben. Daß nun solche drei Philosophen bei deutlich verschiedener Funktion und Altersstufe mit den drei Einweihungsstufen, den drei Stadien der Vollkommenheit zu tun haben, denen wir einen Pico in allen Mysterien nachspüren sahen und die in den Bünden der Renaissance selber eine Rolle spielen mochten, liegt jetzt gewiß nahe. Was die Kostüme angeht, die vor allem bei den zwei älteren Männern sehr ausgeprägt sind, so mögen die Eingeweihten in den geheimen Zusammenkünften der chymischen Gesellschaften, vielleicht aber auch die Presbyter, Oberpriester, Vates und ähnlihe Würdenträger der Akademien, gleichsam als Träger von „Hochgraden” gelegentlich in entsprechender Tracht erschienen sein. Vorliebe für Trachten, die den Außenstehenden wesentlich phantastisch anmuteten, kennzeichneten ja auch die mehr extern gehaltenen Veranstaltungen der verschiedenen Gesellschaften. Kein Wunder, daß neben dem antiken Priestergewand auch Kostüme des

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