Giorgiones Geheimnis : ein kunstgeschichtlicher Beitrag zur Mystik der Renaissance

Wir behaupten: Wenn Giorgione ein so seltsames Thema, wie das der „Drei Philosophen” in unserer Deutung, derart beschäftigt hat, daß er esvielleicht zum erstenmal in der Geschichte der Malerei — als großes monumentales Tafelbild behandelte, so muß ein solches T'hema in ein mächtig betontes Gedanken- und Gefühlszentrum des Künstlers gehört haben. Es muß geradezu einen — mit Freud zu reden - „K omplex” in seinem Seelenleben bedeutet haben, so wie es offenkundig auch sein äußeres Leben, seinen Umgang mitbestimmt hat. In diesem Sinne ist auch die Erfindung des Themas der sog. „Drei Lebensalter” zu verstehen, wie es klassisch in dem bald Giorgione, bald dem „Melancholiker” Morto, bald Lorenzo Lotto zugeschriebenen Halbfigurenbild des Pal. Pitti behandelt ist. Es kann in der Erfindung nur auf den Meister selber zurückgehen, der hier sein Lieblingsthema der „drei Grade” in mehr volkstümlicher Weise abgewandelt hat. Das Blatt in der Hand des Jünglings, die Unterweisung, die er empfängt: dies bildet das inhaltlich entscheidende Merkmal der Komposition, der Aufstieg des Alters ist zugleich eine Emporstufung des höheren „Wissens”. Die populäre, mittelalterlih-allegorish anmutende Zusammenstellung gewann so für den Wissenden noc eine besondere Bedeutung. Neben diesen mehr genrehaften Abwandlungen des Einweihungsmotivs hat Giorgione aber das geheimwissenschaftliche Thema noch einmal in mehr monumentaler Form behandelt. Diesmal handelt es sih um das Schwesterthema des hermetischen Adeptentums, die Astrologie. Wir haben in der Dresdener Galerie das merkwürdige Bild aus der Sammlung Manfrin „Das Horoskop’, welches das sonst nur in Holzschnitten und Bucdhillustrationen behandelte Thema der Sterndeutung ebenfalls wohl zum erstenmal in der Form eines Tafelbildes behandelt. Sollten wir da nicht einem Morelli, Frizzoni, Justi recht geben, die in dem Dresdener Bild eine direkte Kopie nach Giorgione sehen (—- von einem Original kann ja bei der geringen Qualität nicht die Rede sein —) statt irgend einen nur „giorgionesken” Maler namhaft zu machen? Kein formales Kriterium widerspricht dem unbedingt. So deutlich in der schwachen Ausführung der Malerei der Kopist erkennbar ist, so unzerstörbar großartig ist doch die Komposition und so „giorgionesk” im

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