Giorgiones Geheimnis : ein kunstgeschichtlicher Beitrag zur Mystik der Renaissance

engsten Sinne des Wortes sind gewisse Einzelzüge. — Ist nicht der Astrolog aus demselben Holz geschnitten wie die beiden älteren „Philosophen”, ist nicht die so charakteristische Intensität seinesbeobachtenden Hinausschauens aus derselben unnachahmlichen Auffassung geboren wie das aufmerksam konzentrierte Schauen des jüngsten Philosophen nach der „Höhle” hinüber? Ist nicht (wie schon Boehn beobachtet hat) der Jüngling ein Ebenbild des David in Wien, ein Bruder aber auch des Knaben mit Pfeil (Wien) und des Schäfers mit Flöte in Hamptoncourt? Merkwürdiger noch ist die Beziehung zu dem Jüngling, der die Hand auf eine Kugel (!) legt, in der Sammlung Mason-Jadkson. DieForschunghatdasDresdenerBildsehrmitUnrechtso stiefmütterlich behandelt. Hätten wir das Original, so wäre uns darin vielleicht ein Gegenstück zu dem berühmten Wiener Philosophen-Bilde erhalten. Eine junge Frau hat in der Abendstunde ihr Knäblein einem Astrologen gebracht, damit er hm das Horoskop stelle. Auf der linken Bildseite sieht man sie am Boden sitzen, vor sih das nackte Kind zwischen ihren Füßen, das sie ernsthaft betrachtet und mit ausgestreckten Armen zu beruhigen sucht (das Schema der Anbetung des Kindes wirkt nach). Ein junger Mann in Rüstung — zu jung, um als Ehemann gelten zu können, eher ein begleitender Page — ist mit ihr der Behausung genaht, er hält sich mit abgenommenem Hute mehr im Hintergrund, seitlich neben dem großen Nischenpfeiler, der die Statue einer nackten Venus (Veritas?) zeigt. Hinter beiden sieht man auf eine schöne, ganz in Giorgiones Weise gesehene abendliche Landschaft mit Hirten hinaus. Rechts in der Ruine, einer Art von großer Bogennische, sitzt der bärtige, morgenländisch gekleidete „Philosoph”; mit gespannter Aufmerksamkeit, fast dramatischer Wendung, beobachtet er nah rechts, von den Besuchern abgewandt, durch ein hohes Fenster den Lauf der Gestirne. Auf dem großen Postament vor sich hat er einen Zirkel mit einer runden Scheibe.**) Sie ist offenbar zu verstehen als Rundtafel, auf der der Geburtsstand der Planeten und Tierkreiszeichen, die eigentliche „Nativität” des Geborenen, eingezeichnet steht. Am Geburtstage pflegte man zu beobachten, welche Stellung die Sterne im Verhältnis zu ihrem Geburtsstande einnahmen, um daraus Weissagungen für das neue Lebensjahr zu gewinnen.

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