Giorgiones Geheimnis : ein kunstgeschichtlicher Beitrag zur Mystik der Renaissance

Nicht unbekannt ist, daß man den auffallend großen Adler, das Relief auf der Seite des Astrologen — trotz der shwachen Zeichnung des Kopisten ist wohl ein Adler und zwar ein junges Tier gemeint — auf das Wappen der Estes bezogen hat. Der Schluß auf Lukrezia Borgia, Gemahlin Alfonsos von Este, die ihm im Jahre 1508 den ersten Sohn gebar, war da nicht fernliegend. Danach wäre sie es, die sich hier bei dem Sterndeuter für das Söhnlein ein Jahreshoroskop stellen läßt; keine üble Kombination, wenn man der astrologischen Neigungen des Hofs von Ferrara, insbesondere auch Lukrezias, gedenkt, deren Interesse für Prophezeiungen und dergleichen auch in dem verliebten Briefwechsel mit Bembo hervortritt. Eben dieser Bembo könnte dann den Vermittler zwischen Lukrezia und dem Künstler abgegeben haben.‘”) Allerdings ließe sich noch eine andere Erklärung des seltsamen Vogels geben. Der emporsteigende Adler, wie er sich so auffallend groß an der Ruine des Astrologen findet, ist, ebenso wie der Pelikan und der Phönix, bekanntes alchemistisches Symbol, das uns vielfach in Büchern kabbalistisch-theosophischen Inhalts begegnet. Sollte also mit dem etwas ungeshickt angebrachten Vogel ein Hinweis auf die Wissenschaft des Magiers überhaupt gegeben sein, der das Astrologische mit der alchemistishen Praxis verband? Die Beziehung auf Lukrezia Borgia bleibt daneben noch immer sehr diskutabel; übrigens befand sich in ihrem Nachlaß ein — geheimwissenschaftliches? — Buch mit dem Titel: „Aquila volante”.““) Sollten also beide Hypothesen zu Recht bestehen und es sich um eine zwiefache Anspielung bei dem Wappentier handeln? Doch über Vermutungen ist hier um so weniger hinaus zu kommen, als auch mit Mißverständnissen des schwachen Kopisten zu rechnen ist. - Auh am Fondaco, wo jene Brüderschaft von der Calza gemalt war, scheint übrigens Giorgione Andeutungen gewisser Symbole und Überlieferungen gegeben zu haben, die ihn nahe angingen und die er vielleicht, entsprechend dem Zwecke des Gebäudes, als mit dem alten deutschen Zunft- und Gildenwesen zusammenhängend empfand. Vasari hat sih — bezeichnenderweise — vergebens mit der Deutung der Gestalten beschäftigt, und man scheint die Unverständlichkeit auch sonst frühzeitig empfunden zu haben. „Denn in der Tat,” meint

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