Giorgiones Geheimnis : ein kunstgeschichtlicher Beitrag zur Mystik der Renaissance
links im Vordergrund ähnlich wie auf dem Wiener Bild der „drei Philosophen”. Zur Rechten ist auf zwei mächtigen Marmorstufen ein Thron und ein Baldachin errichtet. Ein gekrönter Mann thront in Phantasietracht; vor ihm, eine Stufe tiefer, steht ein Knabe, er hält anscheinend ein Schild vor sich, dessenWappen oder Zeichen, dem Gekrönten zugekehrt, für uns nicht sichtbar ist. Noch eine Stufe tiefer, auf der Erde, kniet ein Jüngling und reicht Blumen mit einer Schale wie zum Opfer. Zu dieser rituellen Handlung macht ein anderer Jüngling, der vorn zur Seite der Thronstufen Platz genommen hat, Musik auf der Laute. Man sieht drei Bücher: eines ruht auf der Erde angelehnt gegen die Stufen, ein zweites ruht auf der ersten, ein drittes auf der zweiten Stufe, zu Füßen des Gekrönten. So friedlich ist diese Welt der Anbetung, daß Leoparden auf Blumenwiesen weiden, einem Pfauen benachbart; andere zahme Tiere grasen mehr in der Ferne und ein Vogel singt über dem Baldachin in den Zweigen. Wieviel von den Einzelheiten des stark restaurierten Bildes dem Originalzustand entspricht, wieviel bezeihnende Attribute verloren’gegangen sein mögen, bleibt freilich dahingestellt. Immerhin läßt uns dies „unknown subject” auch jetzt noch etwas erhaschen von der idyllischen Romantik jener halb kultischen, halb festspielhaften Feiern von Murano, Asolo u. a. O., in denen man vielleicht, wie in der römischen Akademie, einem Pontifex maximus, einem Sacerdos huldiste, einen Dichter zum Meister machte und krönte.“*) Natürlich handelt es sich, wie schon die Bestien beweisen, nicht um eine realistische Schilderung tatsächlicher Feiern, sondern um deren verklärtes Abbild, vielleiht auh um die Verherrlihung einer halb mythischen Gestalt, die man als Begründer, als ersten „Meister” des eigenen Ordens verehrte. In diesem Falle liegt es nahe, an Orpheus zu denken, dem die Tiere lauschten. Orpheus ist in der Renaissancedichtung ähnlich wie Pythagoras gern als Haupt ältester Kultgesellschaften, als Initiierter, als Erfinder der Orphischen Mysterien gefeiert worden.
Von solcher musikalischen Weihezeremonie ist es nicht weit zu Bildern, wie vor allen jenem berühmten „F&te champ£tre” desLouvre. Tiefe Einigkeit von Natur, hüllenloser Frauenshönheit und einer Musik, die
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