Giorgiones Geheimnis : ein kunstgeschichtlicher Beitrag zur Mystik der Renaissance
nend innerlich bei der Verzückung des anderen „nicht recht mitkann”. Es liegt kein zwingender Grund zur Annahme vor, daß mit der mittleren Gestalt — so „melancholisch” und asketisch sie auh anmuten mag — aud ein Augustinermönch gemeint sei. Asketische Anwandlungen treten uns auch bei Marsilius Ficinus und bei Pico, diesem Erotiker und Neuplatoniker, wiederholt entgegen. Alle Einzelheiten der Tracht können auf den Gelehrten gedeutet werden.°°) Es soll und kann gewiß nur eine Hypothese sein, wenn wir in dem mittleren Mann und seinem halb möndhischen, halb gelehrtenhaften Habitus den Vertreter einer besonderen als geheim empfundenen Weltstimmung erkennen, demgegenüber die konfessionelle Kirchlichkeit des Möncdhs ebenso sehr versagt wie das bloß ästhetische Stutzertum des Jünglings. Giorgione hat sich eben selbst als Teilhaber eines außerkirchlihen Geheimnisses gefühlt —- und daß die neuentdecten Mysterien des harmonischen Tonzusammenklangs auf dem neu erfundenen Instrument?!) geradezu zum Sinnbild des neuen Wissens gegenüber Kirche und trivialer Außenwelt werden konnten, haben wir schon als möglich anerkannt. Zu berüksichtigen ist bei alledem, daß gerade dieses Bild, worin wohl die meisten Kenner heute übereinstimmen, von Giorgione gewiß nicht beendigt worden ist. Nach Einigen war es Tizian, der — ob in völliger Kenntnis der geheimeren Intentionen des Meisters? — den mittleren Mann und seine Ekstase in einer etwas indiskreten Theatralik und mit stärkeren Mitteln zu Ende le)
Daß alle kultischen Gesellschaften, auch die sogenannten Akademien, Anfeindungen, zeitweise auch Verfolgungen ausgesetzt waren, ist erwiesen, wenn diese auch in Venedig und gerade zu Giorgiones Zeit den humanistischen Kreisen gegenüber geringer gewesen sein mögen. Wer wird uns daher noch folgen wollen, wenn wir in demWiener Gemälde dessogenannten „Bravo”, wo ein Gepanzerter einen Laureatus.(der dem-Giorgione selber ähnlich sieht) mit dem Dolch bedroht, eine Anspielung auf solche Verhältnisse ahnen? Ridolfis gelehrte Erklärung aus Valerius Maximus ist spät und so wenig überzeugend wie die heutigen Erklärungen Wichofts, bereits
Michiel kannte ja keinen Namen für das Bild. Gerade hier freilich ist die 58