Giorgiones Geheimnis : ein kunstgeschichtlicher Beitrag zur Mystik der Renaissance

eines bartlosen Mannes im Budapester Nationalmuseum befindet sich am unteren Bildrande unter anderen Zeichen links ein Hut, der das selbe V (mit zwei oder drei Punkten) trägt. Die übrigen Inschriften über dem Hute links (Antonio Broccardo) sind nach allgemeiner Überzeugung nicht ursprünglich. Dieses Bild wird von einigen Kennern (Venturi, W. Schmidt) nicht als Giorgione anerkannt, die Mehrzahl freilich hält an dieser alten Attribution fest. — Weiter kommt der sogenannte „Ariost” der Londoner Nationalgalerie in Betracht. Auch er trug eine ähnliche Inschrift, die zugunsten der ebenso naheliesenden wie irreführenden Beziehung zu Tizian Vecellio als T. V. umgefälsht zu sein scheint. Über die Echtheit der Kapitelbuchstaben der Signatur Titianus herrscht Uneiniekeit, für echt erachtet Justi nur das danebenstehende V, das mit einem anderen Buchstaben T monogrammartig zusammengefügt zu sein scheint. Just, erwähnt nicht, daß sich auf der rechten Seite noch ein V (vielleiht auch wie Y lesbar) befindet; gerade dieses schaut nicht übermalt aus. Tit. und V (wieder eher als Y lesbar) steht ferner heute auf dem Bildnis der sog. Catarino Cornaro, einer Frau miltteren Alters, die - nach Holmes’) ursprünglich ihre Hand auf einen Totenschädel auf der Brüstung legte (was gut in unseren Zusammenhang passen würde!) Das Bild befindet sich in der Sammlung Crespiin Mailand. Justi hält nur T. V. für echt, Cavenaghi die ganze Signatur. Endlich findet man noch das V aufder Kopie der Budapester „Bella” in Modena (nicht aufdem Original). Zu untersuchen wäre, ob nicht audı das Herrenbildnis der Sammlung Kemp°*) (früher Doetsch) in London das Y ausweist, wie in der Abbildung schwach angedeutet scheint. Alle hier zuletzt genannten Bilder werden aber nur noch von einem Teil der Kenner dem Giorgione zugeschrieben; Gronau gibt die zwei ersten dem jungen Tizian, das letzte dem Pordenone.

Soweit der heutige Befund. Für uns besteht kein Zweifel, daß die Zeichen V und Y, soweit sie echt und ursprünglich sind, geheimes Erkennungsmerkmal jener Sodalität darstellten, zu der auch Giorgione Beziehungen hatte. Es handelte sich um eines jener vielen „Abzeichen literarischer Orden, geschlossener Gesellschaften, geheimer Verbindungen, Sprachgesellschaften”

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