Giorgiones Geheimnis : ein kunstgeschichtlicher Beitrag zur Mystik der Renaissance

(Bassermann-Jordan), die aber nicht erst im 17. und 18. Jahrhundert auftauchen, sondern schon in der Renaissance. Der sogenannte Broccardo ist in dieser Hinsicht noch besonders verräterish. Er weist drei Lehrzeichen auf: Hut, Kranz und Tafel. Zur Linken findet sich das erwähnte V in Verbindung mit zwei, ursprünglich wohl drei Punkten auf einem Hut. Der Hut als symbolisches Zeichen ist heute noch das Sinnbild des „aufgefreiten Meisters”, des „freien Mannes” (homo liber). Das Zeichen beweist an dieser Stelle wieder den engen Zusammenhang, den die Renaissanceakademien und ähnliche Gesellschaften einerseits mit dem Bauhüttenwesen des späten Mittelalters, anderseits mit den späteren Freimaurerorden haben. Durch das V auf dem Hut ist also wohl auf den Grad hingewiesen, den der Betreffende in der betreffenden Gesellschaft einnahm. Über die Natur dieser Gemeinschaft soll aber auf dem Bilde noch mehr angedeutet werden und an dieser Stelle kommen wir vielleicht dem, was wir das „Geheimnis” Giorgiones genannt haben, am allernächsten. Der Kranz in der Mitte — auch ein altbekanntes Bruderschaftssymbol (corona, Kette, Kranz, Kränzchen) - umsdließt eine Gemme mit einem janusartigen, dreiköpfigen Gebilde: ein Gesicht in Frontansicht, eines im Profil nach rechts, eines nach links.?”) Es handelt sich hier am wahrscheinlichsten um Hekate, die unterweltliche infernalishe Gespenstergottheit, Gottheit aller Zauberei, Beschwörung und Magie. Sie hat nachweisbar in hermetisch-alchemistischer Philosophie ihren Platz. Durchaus in dieselbe Richtung führt nun die Untersuchung des Täfelchens zur Rechten, esist die „tabella ansata”, wie wir sie auch unter den Lehrzeichen auf Dürers „Melancdolie” wiederfinden. Das Täfelchen trägt Zeichen, die Thausing °®) bezeichnenderweise „kabbalistisch” anmuteten! Auffallend ist nun im Zusammenhang mit all dem die in einem Bildnis völlig ungewöhnliche Haltung der rechten Hand des Mannes auf der Brust. Man kennt diese Bewegung noch heute in bestimmtem, hier nur anzudeutendem Zusammenhang. Die Annahme liegt jedenfalls nicht fern, daß es sich um eine rituale Geste handelt, die in der durch das Lehrzeihen angedeuteten Sodalität üblich war. Die Geste begegnet uns auf Bildnissen noch mehrfach, z. B. bei dem sehr

merkwürdigen Herrenbildnis der Doria Galerie, das im Hintergrund einen

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