Giorgiones Geheimnis : ein kunstgeschichtlicher Beitrag zur Mystik der Renaissance

Lehrbildern der hermetishen „Kunst” seit dem 15. Jahrhundert hat. Wahrscheinlich sind auch hier wieder verschiedene Deutungen und Ursprünge zusammengeflossen. Das V begegnet uns nicht selten als „Winkelhaken” (drei Punkte durch zwei Grade verbunden), also als einfach dem Bauhüttenwesen

entlehntes Zeichen, meist in monogrammatischer Verbindung mit anderen

Zeichen, Zirkel, Kreisen usw.

Es ist in der Form Y als Gabelkreuz, — Einheit, die sich in Zweiheit spaltet in der Alchimie eine Formel für „Rebis” (res bina)°®) Abkürzung für einen zweiköpfigen Mann. Mehr gabelkreuzartig erscheint es jaauch rechts aufdem sogenannten „Ariost” der Nationalgalerie; dieses Zeichen begegnet uns in der alchemistischen Literatur für „vAn”, was gelegentlich an Stelle von Mercurius erscheint. V ist auch der Anfang des hermetishen Geheimwortes „Vitriol” (visita interiora terrae rectificando invenies occultum lapidem). Es begegnet uns als Anfangsbuchstabe der erwähnten alchemistischen Humanistengesellshaft „Voarchodumia”. Als Initial mit drei Rosen statt der drei Punkte auf dem Budapester Bilde fand es Keller in der Gedächtnisrede des Petrus Marsus am Sarge des Pomponius Laetus, auch auf dessen Grabmal sowie auf Konrad Celtes’, des Meisters so mancher Sodalität, Grab im Wiener Stephansdom soll es sichtbar sein. In späteren Ordensgesellschaften des 17. und 18. Jahrhunderts ist das Zeichen, wenn auch oft mit anderen verbunden, ganz besonders häufig. V wird hier gelegentlich als „vinculum”, öfters als „renerandus”, „venerabilis” — die geheime Ordensanrede der Brüder gedeutet. Welche dieser Erklärungen bei der Gruppe von Bildnissen Giorgiones gilt, ist um so weniger zu entscheiden, als Übermalungen undErgänzungen aus nnaheliegenden Gründen vielleihtschon bald nach Entstehung der Bilder angebracht sein könnten. —

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