Giorgiones Geheimnis : ein kunstgeschichtlicher Beitrag zur Mystik der Renaissance

der vielkantige, unübersichtliche Polyeder des „rauhen Steins” übergroß und ungefüge mitten im Raume. Aber der Frauengestalt entsinkt beinahe der Zirkel aus der Hand, die niedere Melandolie hält sie am Boden.

Hat nun Dürer es aufgegeben, den höheren Aufstieg zu schildern? Hier sei auf eine kurze Andeutung L.Kellers hingewiesen. Er versucht das Blatt Melancholie mit Ritter, Tod und Teufel und Hieronymus im Gehäus - also die drei Meisterstihe von I5B/I4 — zusammenzustellen als Versinnbildlihung der drei Grade (so wie wir sie etwa in Picos Schriften und in Giorgiones Bild verherrliht sehen). Ritter, Tod und Teufel wäre dann, gegenüber der Lehrlingsstufe der „Melencholia I”, der „Gesellengrad”: die aktiv praktische Einstellung zum Leben. Die beiden Gespenster erinnern dann an gewisse Aufnahmeprüfungen und Versucungen, die in den Mysterien überliefert waren. Der Melandoliker scheint ihnen besonders zugänglich: diese Seite der Melancholie hat Cranadı in seinen Gemälden der Melandolia geschildert, der ein ganzer Hexenritt naht, während sie sid einen gegabelten Stecken (doh wohlals Wünscelrute, ein echt saturnisches, derAufspürung des Erdinneren dienendes Werkzeug!) zure&htschnitzt. Hieronymus endlich — manbeadhte die wunderbare Ordnung und Ruhe der Komposition im Gegensatze zu dem ungeklärten Durceinander der,Melencholia”—-wäredieVollendungdesMeistergrades.(Der „Stein” - so könnte man zur Not erklären - befindet sin nunmehr als wohlbehauener Kubus I | links im Vordergrunde, auch die bisher nie ganz verständlih gemacdte, merkwürdige „Versenkung” ganz im Vordergrunde ließe sich auslegen.)

Die Ansicht Kellers hat - gerade auch im Sinne unserer Giorgione-Interpretation etwas Bestehendes. Aber warum hat Dürer dann auf den beiden anderen Blättern die Bezeichnung Melandholia Ilund III weggelassen ? Nicht ausgeschlossen ist, daß ihm während der Arbeit die gelehrte Zuordnung der beiden höheren Stufen an innerer Wahrscheinlichkeit verlor. Sie widersprah doc zu sehr der volkstümlichen Auffassung vom „Saturnkind” und wäre den allermeisten Betrachtern unverständlich geblieben. So ließ er die Bezeichnung weg und begnügte sich mit der Versinnbildlihung der „drei Grade”. Diese drei Grade entsprechen etwa den theologishen Stufen, auf die Lippmann aufmerksam macht, in Gregor Reis’ Margarita philosophica. Keineswegs aber sind diese theologischen Begriffe von Dürer gemeint, vielmehr hat seine Auffassung - jedenfalls im ersten und zweiten Blatte - etwas ausgesprohen unkirchliches, sie entspricht einer Geheimlehre, wie sie in Kreisen gleichgesinnter Eingeweihter gepflegt wurde.

Blätter, wie „Das große Glück” (fortuna major; ein bekannter astrologisher Terminus), gewisse Zeichnungen weisen bei Dürer gleichfalls in astrologishe Richtung; sie bedürfen noh der Deutung. Ob Beziehungen M. Grünewalds, vielleidıt auch Baldungs, zu gewissen humanistish-chymishen Sodalitäten und ihrer Geheimlehre bestanden haben, wäre noch zu untersuchen. Aldıemistisches spielt inden „suenos” des Hieronymus

so