Neunundsechszig Jahre am Preussischen Hofe : aus den Erinnerungen der Oberhofmeisterin Sophie Marie Gräfin von Voss : mit einem Porträt in Stahlstich und einer Stammtafel

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Chriſtine ſie bevorzugte, wax troß ihrex Dankbarkeit fitr dieſelbe ihr denno< nur eine Laſt. Sie hatte gar keine wirkliche Häuslichkeit mehr; ihr Mann wax jeden Mittag und jeden Abend bei Hof und war derſelbe überhaupt ſehr der Geſelligkeit, der Jagd, dem Spiel, dem Theater, kurz einem Leben der äußerlichen Unruhe und des Vergnügens zugethan. Sobald ſie ſelbſt in Berlin war, verlangte die Königin mit tyranniſher Vorliebe, daß auh ſie niht nux regelmäßig Mittags und Abends an Hof kam, fondern womöglich den ganzen Tag bei ihr zubrachte. Dies geiſtloſe und faſt inhaltsloſe Leben wurde der Bevorzugten ſehr ſ{<wer; es mangelte ihr gewiß niht an Ergebenheit und Verehrung für die Königin; aber bei all den Anerkennung gebietenden Eigen= ſchaften derſelben war dex tägliche Verkehr mit ihr ſ{<hwierig und unerfreulich.

Frau von Vosf fand vielleicht im Gegenſaß zu dem Leben am Hofe jeßt mehr und mehr Geſhma> an einem ruhigen und thätigen Landleben; ſie wiederholt dies zu öfteren Malen in ihren Tagebüchern und machte es denn auh nögli<h, ohne ihren Mann, dex dieſen Geſchmack nicht theilte, oft viele Monate lang, bis tief in den Spätherbſt hinein, allein in ihrem geliebten Giewihß zu bleiben. Sie intereſſixte ſi<h für die Landwirthſchaft und nahm vox Allem den regſten und herzlichſten Antheil an dem Wohle aller Gutsangehörigen, ja allex Nothleidenden der ganzen Umgegend, für die ſie immer eine freundliche und leutſelige Wohlthäterin war. Aber au< die Freundſchaft, welche von jeher einen großen Play in ihrem Herzen und “in ihrem Leben eingenommen hatte, machte zwiſchendurch ihre Rechte geltend, und vielleiht gab fie denſelben um ſo