Neunundsechszig Jahre am Preussischen Hofe : aus den Erinnerungen der Oberhofmeisterin Sophie Marie Gräfin von Voss : mit einem Porträt in Stahlstich und einer Stammtafel

— 107 —

mehr Gehör, weil ihr eigenes häusliches Leben verödet und einſam geworden war.

Im Jahre 1773 kommt die Königin Ulrike von Schweden zum Beſu in ihre deutſ<he Heimath und auf die dringende Bitte derſelben, die eine beſondere Zärtlichkeit für Frau von Vosf hatte, bringt dieſe mehrere Monate bei ihr theils in Schwerin, theils in Stralſund zu. Dann ſehen wir ſie in Prag bei einer Freundin, Gräfin Clam-Martiniß, bald daxauf an dem Hofe in Cobuxg; ſpäter zwei Monate lang bei dem Markgrafen und der Markgräfin von Anſpach; zu einex anderen Zeit wieder abwechſelnd in Meiningen, in Böhmen bei der Fürſtin Auerſperg und in Hanau bei dem Erbprinzen und dex Exrbprinzeſſin von Heſſen-Caſſel, überall nicht wie ein Beſuch, ſondern wie eine geliebte, lang erbetene Freundin, überall geehrt, gefeiert und auf Händen getragen.

Doch auch dieſe Zeiten, die no< ſo manches Gute und Exfreuende in fſi< trugen, ſollten ein Ende nehmen und der größte Schmerz ihres Lebens daſſelbe für lange, lange Jahre hinaus mit Dunkel und Trauer bede>en.

Nach Beendigung ſeinex Studien ward ihr Sohn, den der Vater dem Civildienſt beſtimmt hatte, zuerſt in Berlin angeſtellt und die glüctliche Mutter begrüßte dieſe Gunſt mit unbeſchreiblicher Freude. Sie ſagt an dieſer Stelle ihres Tagebuches von ihm:

„Er hat ſich bei ſeinen raſchen Studien ſehr angeſtrengt, „aber auh ſehr ausgezeihnet und i< kann mit Stolz „ſagen: er hat einen ſelten edlen, dur<h und dur< männ„lichen Charakter! — Abex ex iſ ſehr lebendig und „gerade jeßt in den Jahren, wo die Leidenſchaften am unge„\tümſten und heftigſten find und es am nöthigſten iſt, den„ſelben mit Sanſtmuth entgegen zu treten, was der Liebe