Neunundsechszig Jahre am Preussischen Hofe : aus den Erinnerungen der Oberhofmeisterin Sophie Marie Gräfin von Voss : mit einem Porträt in Stahlstich und einer Stammtafel

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Jm Jahre 1783 hatte der Bruder des Oberſthofmeiſters von Vos auf den Wunſch dex Königin Eliſabeth Chriſtine ſeine Tochter an ihren Hof gegeben. Dasſelbe, was 1745 ſich zugetragen hatte, wiederholte fich 1783; der Prinz von Preußen faßte eine Neigung für die Hofdame der Königin. Fräulein von Vosf, deren unglückliches Schickſal eben fo ſehr wie ihre S<huld das größte Mitleid verdient, hatte gleich bei ihrem exſten Erſcheinen an Hof die Aufmerkſamkeit und Bewunderung des Prinzen erregt und faſt drei Jahre lang verfolgte ex ſie mit ſeiner Neigung. Jm Jahre 1786 ſchreibt Graf Mirabeau, der damalige franzöſiſche Agent in Bexlin in ſeiner bekannten Geſchichte des Preußiſchen Hofes: „Der König beharrt no< immer in derſelben reſpectvollen Leidenſhaft für Fräulein von Vosſ. Sie widerſteht ihm ſtandhaft, aber er giebt ihr täglih neue Beweiſe ſeiner Neigung und zeichnet ſie dur die größten Aufmerkſamkeiten aus.“ Ucebrigens ſtand die junge Hofdame bei den franzöſiſchen Memoiren-Schriftſtellern jener Zeit niht in Gnaden, weil ſie eine Abneigung gegen alles franzöſiſhe Weſen hatte, mit Vorliebe Deutſh und Engliſh ſpra<h und die damals allgemein übliche franzöſiſhe Sprache ſo viel als mögli ver= mied. Fene machten ihr auh in Folge deſſen den Vorwurf der Anglomanie, der vollkommen ungere<ht wax. Die Zeit= genoſſen ſchildern ſie als eine Schönheit im Genre Tizian's, ſ<lank und voll zugleich, von ſ{<hönen Formen und feinen Zügen, blendend weiß, aber ganz ohne Farben, von einer Marmor ähnlichen Bläſſe, gehoben dux< ein überaus reiches röthlih blondes Haar. Am Hofe hatte ſie den Beinamen Ceres wegen dieſes üppigen goldenen Haares, in deſſen Shmu> die Vilder ſie auch darſtellen, die no< von ihr erhalten ſind,