Neunundsechszig Jahre am Preussischen Hofe : aus den Erinnerungen der Oberhofmeisterin Sophie Marie Gräfin von Voss : mit einem Porträt in Stahlstich und einer Stammtafel

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froh, den König in ſo edlen und guten Händen zu wiſſen. Allerdings hatte ſie ihn. ſ<hon in viel verderblicheren Feſſeln geſehen; aber das ſanfte, zurücftretende, zaghafte junge Mädhen, das dieſe jeyt vollends zerbrechen ſollte, war niht im Stande, es zu thun.. Der König war damals faſt 43 Jahre alt; aber ex war perſönlih no< immer wohl dazu geeignet eine Neigung einzuflößen. Ex war ein großer ſ{önex Mann von ſehr gewinnendem Aeußern, einer ſeltenen Wärme des Gefühls und von herzbeſtri>endex Liebenswürdigkeit im näheren Verkehr. Und doch hatten die ſeltene Treue und Beharrlihkeit einer drei Jahre lang dauernden Neigung die junge Hofdame nicht ſo erſchüttert, als dex Beginn einer Kälte, die ſie empfinden ließ, was es heiße, eine Liebe zu verlieren, die ihr Herz ſich gewöhnt hatte als ſein Eigenthum zu betrahten! —

So fand denn endlich die Trauung zur linken Hand, wie es ſcheint dur den Hofprediger Zöllner, in der Schloß-= kirhe zu Charlottenburg ſtatt. Das Conſiſtorium exklärte eine ſolche für zuläſſig unter Berufung auf die von Melanch= thon erlaubte Doppelehe Philipp des Großmüthigen von Heſſen. Vorläufig ſollte dieſelbe jedoh ein Geheimniß bleiben und Fräulein von Vosf in ihrer bisherigen Stellung ruhig verharren. Nur der Oberſthofmeiſterin von Vosf erlaubte ihr dex König das Geſchehene mitzutheilen, und dieſe erwähnt in ihrem Tagebuch das Geſtändniß derſelben. Offenbar da-= dur in einen harten Kampf mit ihrem eigenen Herzen verſeht, zwiſchen der Entrüſtung über die Handlung und dem Mitleid mit der Handelnden, ſchreibt ſie am 2. Juni 1787:

„Meine Nichte ſagte mir heute unter Thränen, ſeit acht Tagen fei ſie mit dem König heimlich getraut, bat mi aber,