Poimandres : Studien zur griechisch-ägyptischen und frühchristlichen Literatur

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Die Erhaltung des Hermetischen Corpus danken wir einer einzigen Handschrift, welehe im XI. Jahrhundert in traurigem Zustand wieder aufgefunden wurde. Ganze Quaternionen und einzelne Blätter fehlten sowohl im Eingang (nach Kap. I) als am Schluß (nach XVI); auch auf den erhaltenen Blätten war, besonders in dem letzten Drittel, die Schrift stellenweise unleserlich geworden. In diesem Zustande kam die Handschrift an Michael Psellos, den großen Wiedererwecker Platonischer Studien in Byzanz’), wie ich vermute, gerade zu der Zeit, als dessen Rechtgläubigkeit in Zweifel gezogen war. Er glaubte diese Schriften aufs neue verbreiten, zugleich aber sich selbst gegen den Verdacht sichern zu sollen, als ob ihr Inhalt seinen Überzeugungen entspräche. So entstand jenes eigentümliche Scholion zu 1 18, in welchem wir zunächst fast mönchisches Eifern zu hören glauben, wenn Psellos versichert, daß dieser Poimandres offenbar der Teufel selbst gewesen sei, während der Schluß das Interesse des Philologen, ja vielleicht schon eine noch innerlichere Anteilnahme an dem Inhalt zu verraten scheint. Daß eine solche wenigstens in den nächsten Jahrhunderten in Byzanz erwachte, glaube ich aus der Tatsache schließen zu sollen, daß die letzten drei Kapitel, welche den Polytheismus oder besser das Heidentum direkt rechtfertigen, in einem Teil der Handschriften weggelassen wurden und nur der Teil des Corpus weiter verbreitet wurde, der einem an das Christentum angeglichenen Neuplatonismus entsprach. Der Text wurde im wesentlichen mit all der Genauigkeit und Gedankenlosigkeit weitergegeben, die bei solchen nicht für die Schule und noch weniger für den praktischen Gebrauch bestimmten Schriften durchaus erklärlich ist. Die Überlieferung ist außerordentlich schlecht, aber einheitlich. Den Text der Psellosabschrift können wir aus den Handschriften des XIV. Jahrhunderts mit voller Sicherheit gewinnen.

1) Auf den Zusammenhang der Platonischen Studien des Psellos mit der Herausgabe des Corpus wies mich zuerst Br. Keil. Ein näheres Eingehen auf die Einwirkungen der Hermetischen Literatur auf den humanistischen Mystizismus wird man von mir nicht erwarten,