Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

Fürſt Karl von Rumänien als Yefehlshaber der vereinigten Armee vor Sſewna.

Viel Unerwartetes mußte an der untern Donau geſchehen, ehe die von langer Hand geplavte rumäniſhe Mitwirkung ſiegreich alle Hinderniſſe überwinden und zur ſtehenden Thatſache werden fonnte. — Wenn je eine Angelegenheit gefährliche Entwi>lungs-Krankheiten dur<hzumachen hatte, ſo war es jene, welche die Bedingungen der Theilnahme und Mitwirfung der rumäniſ<hen Armee im ruſſi\<türkiſhen Feldzuge zu regeln hatte. Allerdings mochte niht Alles, was bezügli<h über Meinungsverſchiedenheiten und ernſte Verſtimmungen zwiſhen dem ruſſiſhen Hauptquartier und dem Hofſtaate des Fürſten Karl verbreitet worden war, aus lauteren Quellen gefloſſen ſein; allein das Eine ließ ſi< niht in Abrede ſtellen: die ruſſiſhe Heeresleitung hatte noh vor nicht langer Zeit kein allzu großes Gewicht auf die militäriſhe Unterſtüßung von Seite der Truppen des Fürſten Karl gelegt, und es mußte in der That — Unerwartetes geſchehen, um bei den ruſſiſchen Großfürſten und Generalſtäblern eine andere Anſchauung über die B edeutung des rumäniſ<hen Hilfs8corps zum Durchbruch kommen zu laſſen. Veränderte Umſtände verändern eben au< das Urtheil über eine Sache, und ſo konnte es niht Wunder nehmen, daß der energiſhe Widerſtand der Türken, die Unglücstage von Plewna und der nothgedrungene Stillſtand des Vormarſches die ehemals im ruſſiſ<hen Hauptquartier niht ſehr ho< bewertheten rumäniſchen Soldaten plöblich in einem ganz anderen, in einem neuen Lichte zeigten. — Und in dieſem neuen Lichte waren die vermeintlihen Fle>en und Makel des rumäniſchen Militärweſens ganz und gar geſ{<wunden. i

Die Stunde der großen Entſcheidung hatte alſo geſhlagen. Eine rumäniſhe Brigade der 3. Diviſion unter Oberſt Angelescu TI. hatte bei Turnu-Margurelli und die zweite Brigade derſelben Diviſion und die ganze zweite Diviſion des erſten Armeecorps bei einem Dorfe nächſt C orahbia die Donau überſchritten. Schon ſeit längerer Zeit war an einer Shchiffsbrü>e bei Corabia gearbeitet worden; ſie wurde am 25. Auguſt glü>li< beendet und ſofort begann au< der Uebergang der Truppen. Fürſt Karl leitete zuerſt in Perſon den Uebergang der Truppen bei Corabia und fuhr darauf nah Turnu-Margurelli, zuglei< benüßte er dieſe Gelegenheit, um dem Kaiſer und dem Oberſtcommandirenden Großfürſten Nikolaus einen Beſu< in Gorni-Studen zu machen, wo

dann alle no< ſ{<webenden Fragen eine definitive Löſung finden ſollten.

Beſonders jene Frage war no<h ungelöſt, welche Stellung der Fürſt als Obercommandeur der rumäniſchen Armee dem ruſſiſchen Hauptquartier gegenüber von nun an einzunehmen beſtimmt war. Der Chef des ruſſiſhen Armeecorps, dem die vierte rumäniſche Diviſion bisher zugetheilt war, General Zatoff, betrachtete ſi als Chef dieſer Diviſion und behandelte ſie gerade ſo, wie wenn ſie eine ruſſiſhe Diviſion geweſen wäre. Die verſchiedenen Regimenter wurden einzelnen ruſſiſhen Abtheilungen einverleibt, \o die \<warzen Hußaren, auf Rumäniſch „Caloraschi“ genannt, die Koſaken, die Artillerie, welche die beſte, organiſirteſte und brauchbarſte rumäniſhe Waffengattung iſt, einer ruſſiſchen Artillerie-Brigade zugetheilt. Die barbariſchen Strafen, welhe in Rußland angewendet werden müſſen, um den geprieſenen Muth der Soldaten für den heiligen Krieg von neuem zu beleben, die neunſhwänzige Knute wurde bei mehreren rumäniſchen Soldaten, welche niht {nell genug die ruſſiſhe Sprache hatten verſtehen lernen, mit größter Seelenruhe angewendet, und als ſi< das rumäniſche Krieg8miniſterium im ruſſiſhen Hauptquartier darüber zu beſ<hweren wagte, wurde ihm einfah geantwortet, daß dieſe Strafart in der „ruſſiſchen Armee üblich ſei“. Die rumäniſche Diviſion als ſelbſtſtändiges Ganzes mit ihren bisherigen Einrichtungen, Vorſchriſten und Gebräuchen exiſtirte einfa<h niht mehr. Ein Beiſpiel ſoll für Viele genügen: Oberſt Cantilli, der eine Fnfanterie-Brigade der 4. Diviſion befehligte, erhielt einen Befchl von General Zatoff; ſtatt ihn ſofort zu befolgen, glaubte Cantilli, ſeinen directen Vorgeſeßten, den Diviſions-Commandanten Angelescu, davon benahrihtigen zu müſſen. Als Zatoff dies erfuhr, verlangte er ſofort, daß Cantilli ſeines Commandos enthoben und vor ein Kriegsgeriht geſtellt werde.

Am 30. Auguſt hatte ſih jedo<h die Stellung Rumäniens geändert. Fürſt Karl von Rumänien wurde zum Befehlshaber der vereinigtenruſſiſ<-rumäniſchenKräfte des weſtlihen Detachements, das heißt der Armee vor Plewna ernannt. Am 31. fand daher in Gorni-Studen eine Conferenz ſtatt, zwiſchen dem Großfürſten Nikolaus und dem Fürſten Karl, als deren Reſultat die Vereinbarung anzuſehen war, daß Fürſt Karl ein zuſammengeſeßtes ruſſiſ<-rumäniſ<es Armeecorps bhefehligen ſollte, wel<hes den