Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

# “ bekümmerte, ſondern ſeine Hand gleih na<h dem

wichtigeren von Antivari ausſtre>te, zeigte nebenher von einem ſehr au8gedehnten Aneignung8gelüſte. Strategiſch iſ der „Hafen“, oder beſſer die Rhede von Antivari ohne Vergleich wichtiger, als jene andere an der öſterreiciſ<-türkiſhen Grenze unweit Laſtua. Aber troß dieſer hervorragenden ſtrategiſhen Wichtigkeit hatte man türfiſcherſeits auh niht das Geringſte gethan, um derſelben irgendwie Geltung zu verſchaffen. Seit «Fahrzehnten halten am Geſtade von Antivari die Lloydſchiſfe, aber no< findet ſi daſelbſt kein Quai oder Hafendamm. Geht die See hoch, ſo iſt eine Ausſchiffung mit Leben8gefahr verbunden, und iſt das Meer in vollkommener Ruhe, \o bringt es fein Boot über den Uferſand und Shlamm hinaus. Auf dem Feſtlande angekommen, ſpäht man vergebli<h na< einem Pfade, denn vor uns breitet fi< ein Sumpf mit weiten Rohrſfeldern, dur die man ſi er Bahn brechen muß, aus. Nur wenige Stunden landeinwärts liegt Scutari, die Hauptſtadt des Vilajets Nord-Albaniens, aber deren vorzügliche Lage in Nachbarſchaft der Küſte konnte bisher die ottomaniſche Regierung niht beſtimmen, eine halbwegs zwe>mäßige Verbindung herzuſtellen; am Handel iſt den Leuten aber nihts gelegen, ſo lange die Wildniß bei Antivari exiſtirt, der meilenweite Sumpf, die aus ihren Ufern tretende Bojana und die unwirthlihen Felſenſteige — o lange ſie ſi< dahinter in ihren Erdlöchern ſichern. So dachte man bisher auf der Hohen Pforte. Es hatte fi< zwar der Fall ereignet, daß einzelne Gouverneure Anläufe zu Wegbauten nahmen, ja, man ſah in Scutari ſelbſt ſogar das Fragment einer Fahrſtraße, aber derlei Spielereien begegnet man in der Türkei in jeder Provinz, im Weſten, wie im äußerſten Oſten, unter den Albaneſen, wie unter den Kurden.

Zu ihrem Angriffe der nördlichen Grenzen Albaniens hatten die Montenegriner ihre Zeit gut gewählt. Ali Saib Paſcha, der die mohammedaniſchen Streitkräfte befehligte, konnte den Eindringlingen nur mit drei Bataillonen regulärer Truppen in dieſer Nachbarſchaft Widerſtand leiſten. Der Angriff der Montenegriner war auch leider wieder durc die frevelhafteſte Barbarei gekennzeihnet, nict allein ſeitens der Bewaffneten, ſondern au< der nihtkämpfenden Bevölkerung, Männer, Frauen und Kinder, wel<he die gräßlichſten Ausſchreitungen gegen die ſ{hubloſen und friedlihen Bewohner der Grenzdörfer verübten. Diejenigen dieſer unglü>li<hen Leute, die entkommen waren, flüchteten in allen Richtungen für ihr Leben. Ueberall war die Bevölkerung mit Entſetzen erfüllt, Nicht zufrieden mit Plünderung und Metelei, brannten die Montenegriner Alles auf ihrem Wege nieder. “ Am weſtlichen

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Ufer des Scutari-Sees ſtanden mehrere Dörfer von beträchtlihem Umfange, z. B. Zogas, Mercole, Seliſtri, Leskove, und alle dieſe ſind niedergebrannt worden. Es ſtanden in Craiva 500 Häuſer in Flammen. Man durfte auh nict glauben, daß Religions- oder Racenhaß etwas mit dieſen Verbrechen zu thun hatte. Dieſe kleinen Fle>en waren nahezu alle von einer friedlichen fatholiſhen Bevölkerung bewohnt, die keinen Theil an der Vertheidigung von Albanien genommen hatte, und gegen welche ihre barbari{hen Nachbarn des anſtoßenden Fürſtenthums keine Beſchwerde haben konnten, es ſei denn, daß ſie ſih an dieſem grauſamen Kriege niht betheiligten. Fn vielen Fällen waren die alten, kranken, bettlägerigen Einwohner in ihren Wohnungen lebendig verbrannt.

Jn der Niederbrennung des großen Dorfes

_Kanderkal matten ſi die Montenegriner eines

Zerſtörung8sactes ſ{<uldig, welcher niht bald vergeſſen werden wird. Es iſt keinerlei Entſchuldigung dafür vorhanden. Der Ort war nicht von den Truppen des Sultans beſet und war größtentheils von Römiſch-Katholiken bewohnt, die in dieſer Provinz friedli<h neben den Türken lebten. Tauſende dieſer Bauern mit ihren Weibern und Kindern, ihrer Habe und ihren Heerden kamen als Flüchtlinge aus dieſem niedergebrannten Orte in Scutari an, - und der Anbli> war ein höchſt herzzerreißender. Es gab eine große Anzahl von Verwundeten, die tapfer mit den türkiſhen Truppen zuſammen kämpften, und man hörte von ihnen, daß der Tag der Vergeltung, wenn ex erſcheint, ſehr bitter auf Seiten dieſer armen Bauern ſein wird, welche wiſſen, daß ſie Alles verloren haben, weil ſie es vorzogen, ihr Leben dur die Flucht zu retten. Ali Saib hatte ſämmtliche kaiſerliche Truppen, über die er verfügte, nah Kanderkal geſendet, wo ſie dur< Freiwillige aus Tirana, Elbaſſan, Krajowa und anderen Orten verſtärkt wurden. Fn Scutari zogen Freiwillige aus allen Claſſen der mohammedaniſchen Bevölkerung in den Kampf.

Die Operationen gegen das Fort Antivarli nahmen ihren regen Fortgang. Fürſt Nikolaus hatte ſein Quartier in dem in der Stadt gelegenen Hauſe des Selim Beg genommen. Dieſes Haus wurde nun am 10. Dezember Abends dur eine Mine in die Luft geſprengt. Fürſt Nikolaus, welher gerade ausgegangen war, verdankte dieſem Zufalle ſeine Rettung. Von ſieben zurü>gebliebenen Montenegrinern der fürſtlihen Leibwache blieb einer todt, während die ſe<s anderen in die Luft geſhleudert und mehr oder weniger confuſionirt wurden. An Details erfuhr man über dieſes Attentat folgendes: Das Hauptquartier des Fürſten befand ſich abwechſelnd entweder in Suſani bei Spizza oder in dem am Hafen von Bar (Antivari)