Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten
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tocolls - Entwurf abgeändert werde, da ihnen dieſelbe ein wenig unparlamentariſ<h erſchien. Dieſes Zugeſtändniß wurde ihnen gemacht, und
von nun an beſchäftigten ſie ſi<h mit dem Waffenſtillſtand. Nach dem ruſſiſhen Entwurfe ſollte der
Waffenſtillſtand von unbeſtimmter Dauer ſein und einer dreitägigen Kündigung unterliegen. Die ottomaniſhen Bevollmächtigten verlangten, daß dieſe Friſt auf ſe<s3 Tage erweitert werde. Der Großfürſt, um ſi< ihnen angenehm zu erzeigen, willigte ein, darüber nah Petersburg zu berichten. Dieſer Umſtand war es, der die Verzögerungen herbeiführte, welhe man ſi< in Conſtantinopel niht erklären konnte. Während dieſer Zeit begaben ſich der Großfürſt und die ottomaniſchen Delegirten nah Adrianopel, wo endli<h am 31. Januar das proviſoriſ<he Protocoll, do< ohne das Zugeſtändniß der ſe<stägigen WaffenſtillſtandsKündigungsfriſt, unterzeihnet wurde.
Während der ganzen Zeit ihres Aufenthaltes im ruſſiſhen Hauptquartier wurden die ottomaniſhen Bevollmächtigten vom Großfürſten, der ſie oft an ſeine Tafel zòg, mit wahrhaft fürſtlihem Glanze umgeben. Fhre Mahlzeiten wurden von ſeinem franzöſiſhen Koh zubereitet. Nach dem eigenen Zugeſtändniß des Großfürſten waren die Ruſſen nah der Einnahme von Elena dur< die Türken verloren, wenn Suleiman Paſcha, anſtatt eine Spazierfahrt na< Ruſthuf zu machen, auf Tirnowa und Gabrowa marſchirt wäre. Fa, nahdem die Ruſſen bereits den Balkan überſchritten hatten, beging Suleiman Paſcha no< den unverzeihlihen Fehler, ſtatt alle ſeine Streitkräfte auf einem einzigen Punkte zu vereinigen, um der Fnvaſion einen wirkſamen Widerſtand entgegenſcßen zu können, ſie in fleine Armeecorps zu zerſplittern, die nah und nach iſolirt und dann geſchlagen wurden. Der Rü>zug auf das Rhodopa-Gebirge erſ{loß den Ruſſen vollends alle Verkehrswege Rumeliens. „Suchen Sie ja niht anderwärts die Urſache Fhrer militäriſchen Unfälle in Rumelien, “ ſagte eines Tages an vollbeſeßzter Tafel der Großfürſt zu den ottomaniſhen Bevollmächtigten, „Suleiman Paſha war es, der Alles verdorben hat, und i< wundere mich, daß man cinen ſolhen Menſchen no< niht hat henken laſſen. Jh ſage: henken, weil es ihm allzu viel Ehre erweiſen hieße, ihn zu erſchießen“. Der Großfürſt überſah vielleicht hierbei, daß Suleiman Paſcha der Freund und Günſtling Mahmud Damat Paſchas war, der ſeinem perſönlichen Ehrgeiz den Herrſcher und das Land geopfert hat.
Auf der Rückkehr nah Conſtantinopel empfingen Server und Namyk Paſcha. in Tſhorlu das Telegramm, welches ſie neuerdings zu Bevollmächtigten der Pforte für den Abſchluß des Friedens ernannte; nihtsdeſtoweniger ſetzten ſie
ihre Reiſe nah Conſtantinopel fort. Es war ihnen Beiden ein Bedürfniß, ſi< mit ihren neuen Collegen im Cabinet zu verſtändigen, und überdies hatten ſie {on an ihrer erſten Miſſion genug. Sie verlangten, erſeßt zu werden, und ſo wurden denn Safvet Paſcha, Präſident des Staatsrathes, und Saadullah Bey, Botſchafter am Berliner Hofe, an ihre Stelle ernannt. Als zweiten Bevollmächtigten hatte man anfängli<h Sad yk Paſcha auserſehen, der jedo< ablehnte, weil er niht zum erſten ernannt worden. Erſt dann dachte man an Saadullah Bey, der Berlin verließ, um ſi< über Bukareſt und den Balkan na< Adrianopel zu begeben. Safvet Paſcha reiſte am 12, Februar mit dem Perſonal ſeiner Miſſion na< Adrianopel. Die ruſſiſhen Bevollmächtigten befanden fich bereits daſelbſt. ES waren dies der General Fgnatieff und Herr Nelidoff. Man hatte die Friedens - Präliminarien unterzeihnet, nun ſollte man den Präliminar-Frieden unterzeichnen. Während die Verhandlungen in Adrianopel zwiſchen Ruſſen und Türken ſi< immer mehr zum Abſchluſſe neigten und ein Separatfrieden zu dämmern begann, da war die leßte Hoffnung der europäiſ<hen Diplomatie auf einen — Congreß gerichtet.
Die Congreß-Fdee war der Strohhalm, nach wel<hem Graf Andraſſ\y zuerſt griff. — Die auSwärtige Situation hatte einen ſehr ernſthaften Charakter für Oeſterreich angenommen. Graf Andraſſy erhob daher ſeine Stimme in St. Petersburg, um die Jntereſſen Deſterreih-Ungarns als Grenzmacht wie als Vertragsſtaat zu wahren, und es war ſehr begreifli<h, daß er mit dieſem Schritte gewartet, bis Rußland mit ſeinen Forderungen in ihrem vollen Umfange hervorgetreten. Es gab nur ein Urtheil über dieſe Forderungen, daß ſie vieler Abänderungen bedürften, wenn ſie von Europa, vor deſſen Forum ſie nun vorausſihtli< kommen ſollten, genehmigt werden ſollten. Der europäiſ<he Congreß war ſhon deshalb nothwendig, um die künftige Stellung der Türkei feſtzuſtellen und zu verhüten, daß aus derſelben ein abhängiger Staat werde.
Graf Andraſſy hatte die Juitiative zur Einberufung einer europäiſchen Conferenz ergriffen, welcher alle die europäiſchen Fntereſſen berührenden Friedensfragen vorgelegt werden ſollen. Die Conferenz ſollte in Wien tagen.
Als Graf Andraſſy die Juitiative zur Einberufung einer Conferenz ergriffen, wax ſeine Anſicht, daß jene Punkte der ruſſiſchen Friedensbedingungen zu erörtern und zu regeln ſeien, wel<he allgemeine europäiſche Jutereſſen berührten; es wax ferner die Conferenz der